Handyapps mit Icons von BehinderungenDejan Bozic/123rf.com; breathofriver/123rf.com; wheelmap.org; DSFT Berlin e.V

Potenziale von mobilem Internet und digitalen Technologien für die bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

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Thematischer Hintergrund

Der Begriff »gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen« wird meist sehr umfassend für unterschiedliche Lebensbereiche verwendet. Die Spanne reicht von alltäglicher Lebensführung und Wohnen über Rehabilitation und Gesundheit, Mobilität, Bildung, Arbeit und Beschäftigung, Freizeitaktivitäten bis zu Verwaltungsangelegenheiten und politischer Teilhabe.

Digitalen und vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wird regelmäßig großes Potenzial attestiert, unterschiedliche Lebenssituationen für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und bestehende Barrieren der gesellschaftlichen Teilhabe abzumildern. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten, entsprechende Technologien zu erforschen, zu entwickeln und bereitzustellen.

Im TAB-Arbeitsbericht Nr. 129 »Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz« aus dem Jahr 2009 wurden vielfältige technische Lösungen vorgestellt, die Menschen mit motorischen, visuellen und akustischen Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz und auf Arbeitswegen unterstützen und umgebende Barrieren absenken können. Das damals attestierte Potenzial etlicher digitaler Technologien ist zweifellos auch auf andere Lebensbereiche übertragbar und dürfte durch das mobile Internet zusätzlich gesteigert werden. Denn die Technikkomponenten werden zunehmend ubiquitär verfügbar. Auch werden fortlaufend neue digitale Anwendungen entwickelt, die Menschen mit Behinderungen die gesellschaftliche Teilhabe erleichtern und Brücken auf dem Weg zu barrierefreien Infrastrukturen bauen. Beispiele hierfür sind wheelmap.org, eine Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte, die Apps Greta und Starks zur Audiodeskription bzw. Untertitelung von Kinofilmen für Blinde bzw. Gehörlose oder die App LetMeTalk zur unterstützten Kommunikation für Menschen mit Sprachstörungen.

Bei etlichen Neuentwicklungen ist offen, ob bzw. inwieweit die unterstellten Potenziale auch jenseits von Einzelanwendungen für größere Personengruppen realisiert werden können. Denn die Digitaltechniken werden in einem komplexen Beziehungsgeflecht diverser Akteure mit unterschiedlichen (Teil-)Zuständigkeiten erforscht, entwickelt, angepasst, eingesetzt und finanziert. 2009 kam das TAB zur Einschätzung, dass es bei vielen technischen Optionen zur Überwindung von Barrieren eine erhebliche Diskrepanz zwischen den jeweils unterstellten Potenzialen und der tatsächlichen Anwendung gibt. In aktuellen Untersuchungen wird dies bestätigt und darauf hingewiesen, dass die Digitalisierung diverser Lebensbereiche auch negative Folgen und neue Barrieren für Menschen mit Behinderung mit sich bringen kann, wenn deren besondere Bedürfnisse nicht bereits bei der Anwendungsentwicklung berücksichtigt werden.

Ziel und Vorgehensweise

In einer ersten Projektphase sollen Möglichkeiten und Grenzen digitaler Technologien zur besseren Teilhabe von Menschen mit Behinderungen anhand von Fallbeispielen dargestellt werden. Unter den vielfältigen behinderungskompensierenden Technologien interessieren dabei alle digitalen Technologien, die auf vernetzte Daten oder das mobile Internet zurückgreifen (ausgenommen sind z. B. rein mechatronische Anwendungen ohne Vernetzungskomponente). Die Beispiele sollen den Untersuchungsraum in folgenden Dimensionen sondieren:

  • Lebensbereiche: Im Fokus stehen Situationen der alltäglichen Lebensführung und Freizeitbereiche. Dazu sind explizit auch die Bewältigung von Verwaltungsangelegenheiten und die politische Teilhabe zu zählen.
  • Art der funktionalen Einschränkung: Neben motorischen sowie visuell und akustisch wahrnehmenden Funktionseinschränkungen sollen auch kognitive und psychische Einschränkungen in den Blick genommen werden.
  • Art der Technik: Sowohl assistive Technologien als auch barrierearme oder -freie Umfeldgestaltung sollen berücksichtigt werden.

Bei der Erhebung der Fallbeispiele sollen die Perspektiven von Technikentwicklern und von Anwendern/Nutzern berücksichtigt werden. In die Fallbeispiele sollen sowohl die Bedarfe und Wünsche von Menschen mit Behinderungen (Anforderungsprofile an die Technologien) als auch die von ihnen wahrgenommenen Barrieren und Einschätzungen zu bereits verfügbaren digitaltechnischen Unterstützungssystemen einfließen. Auf diese Weise soll beleuchtet werden, welche Rolle partizipative Ansätze der Technikentwicklung in den unterschiedlichen Lebensbereichen spielen, welche Akteure (öffentlich-rechtliche sowie private Institutionen und Organisationen) eine Vorreiterrolle einnehmen und welche Herausforderungen mit der jeweiligen Technologie verbunden sind.

In der zweiten Projektphase sollen folgende Aspekte vertiefend betrachtet werden:

  • Das Innovationssystem, wobei folgende Fragen im Fokus stehen: Welche Konstellationen erweisen sich als besonders erfolgversprechend, wo werden strukturelle Probleme gesehen? Mit welchen Maßnahmen könnte die Technikentwicklung gestärkt werden? Wie sind Technikentwicklung und -einsatz in nationalen Aktionsplänen und Teilhabeberichten verankert?
  • Der relevante Rechtsrahmen zum Technikeinsatz mit folgenden vordringlichen Fragen: Wer hat in Bereichen der alltäglichen Lebensführung, der Freizeit und politischen Teilhabe welche Verantwortlichkeiten und Pflichten? Wie können Menschen mit Behinderungen ihre Rechte in diesem Bereich einfordern? Welche strukturellen gesellschaftlichen Herausforderungen ergeben sich?

Stand der Projektbearbeitung

In einer ersten Projektphase wurde ein Expertengutachten zum Thema »Ausgewählte Fallbeispiele digitaler Technologien zur besseren Teilhabe von Menschen mit Behinderungen« vergeben. Das Gutachten stellt Menschen mit Behinderungen als Experten in eigener Sache in den Mittelpunkt und diskutiert anhand von typisierten Alltagsabläufen beispielhaft, inwiefern digitale Technologien und das mobile Internet die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern können.

In der zweiten Projektphase wurden zum einen in einem zweiten Gutachten die Innovationsprozesse einzelner digitaltechnischer Entwicklungen vertiefend untersucht, um die für erfolgreiche Innovationen relevanten Strukturmerkmale und Einflussfaktoren herauszuarbeiten. Der Rolle von partizipativen Ansätzen der Technikentwicklung einschließlich Open Source wurde besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Zum anderen wurden in einem dritten Gutachten die rechtlichen Rahmenbedingungen und politischen Steuerungsinstrumente (u.a. Förderungsmöglichkeiten) sowohl der Technologieentwicklung als auch der Bereitstellung und Nutzung dargestellt. Alle Gutachten wurden maßgeblich von Menschen mit Behinderungen als Experten in eigener Sache erstellt.

Auf der Basis dieser Gutachten wird der Projektbericht mit besonderm Fokus auf Handlungsoptionen für den Deutschen Bundestag erarbeitet. Der Abschlussbericht soll der zuständigen TA-Berichterstattergruppe der Fraktionen bis Herbst 2024 zur Abnahme vorgelegt werden.