Genomanalyse

  • Project team:

    Joachim-J. Schmitt (Projektleitung), Leonhard Hennen, Thomas Petermann

  • Thematic area:

    Biotechnology and health

  • Topic initiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analytical approach:

    TA-Projekt

  • Startdate:

    1991

  • Enddate:

    1993

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Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung

Gegenstand der Untersuchung ist die Identifikation augenblicklicher und potentieller politischer Diskussions-  und Konfliktfelder bei der gesellschaftlichen Nutzung genomanalytischer Verfahren (insbesondere von Verfahren der DNA Analyse, DNA Sonden) im Hinblick auf sich abzeichnenden politischen, rechtlichen und sonstigen Handlungsbedarf. Die Untersuchung konzentriert sich auf folgende Anwendungsfelder genetischer Tests:

  • Genetische Beratung und pränatale Diagnostik
  • Nutzung genetischer Analysen am Arbeitsplatz
  • Nutzung genetischer Analysen beim Abschluss von Versicherungsverträgen
  • Genetische Analysen im Strafverfahren und im Zivilprozess

Die Projektarbeit seit Juli 1991 umfasste eigene Analysen und die Vergabe von Unteraufträgen zu den folgenden Aspekten:

Wissenschaftlich technische Entwicklung

Systematische Erarbeitung des Status und der Perspektiven der Nutzung genetischer Tests durch Experteninterviews und eine Befragung humangenetischer Institute; Diskussion der Ergebnisse mit Parlamentariern und Experten aus den einzelnen Anwendungsfelder auf einem TAB Workshop.

  • Vergabe eines Kurzgutachtens zur Frage, welche Bedeutung der Grundlagenforschung zur Analyse des menschlichen Genoms für die zukünftige Verfügbarkeit genetischer Tests zukommt.

Gesellschaftliche Nutzung

Erarbeitung von "Szenarien" für die jeweiligen Anwendungsfelder, die die Randbedingungen, die zu einer breiten Testpraxis führen können, sowie die sozialen und politisch rechtlichen Probleme, die hieraus erwachsen, beschreiben; Diskussion und Bewertung dieser Szenarien durch eine Expertenrunde.

  • Gesonderte Untersuchung der derzeitigen Praxis der Beratung und der Anwendung von Tests im Rahmen der pränatalen Diagnostik aus der Sicht von betroffenen Frauen und genetischen Beratern (Beobachtung von Beratungsgesprächen sowie offene Interviews mit Frauen und Beratern)
Regelungsmöglichkeiten und voraussichtlicher Regelungsbedarf
  • Vergabe eines rechtswissenschaftlichen Gutachtens zur Untersuchung der rechtspolitischen Probleme und des Instrumentariums zur Regelung der Nutzung genetischer Tests in den Anwendungsfeldern; Durchführung eines TAB Workshops zum gleichen Thema.
Wahrnehmung der Genomanalyse in der Öffentlichkeit
  • Analyse der Berichterstattung zum Thema "Genomanalyse in der deutschen Tagespresse in den Jahren 1988 bis 1990"
  • Repräsentative Bevölkerungsumfrage zur Wahrnehmung neuer genetischer Testmöglichkeiten durch die deutsche Bevölkerung

Ergebnisse

In den letzten Jahren ist eine Reihe von Genen identifiziert worden, die für Erbkrankheiten oder für Krankheitsanfälligkeiten verantwortlich sind. Die Identifikation solcher Gene wird in Zukunft wahrscheinlich noch schneller voranschreiten, so dass die Möglichkeiten der Nutzung genetischer Tests in den nächsten Jahren rapide zunehmen werden. Strittig ist allerdings, in welchem Ausmaß neue genetische Tests für die Praxis relevant werden. Zum einen sind viele der monogen bedingten Erbkrankheiten sehr selten, und zum anderen ist die Aussagekraft genetischer Tests für multifaktoriell bedingte Erkrankungen oder für Krankheitsdispositionen (mehrere Gene und Umweltfaktoren bedingen den Ausbruch einer Krankheit) umstritten.

Der Stand der derzeitigen Nutzung in den untersuchten Anwendungsfeldern ist sehr unterschiedlich. Während der "genetische Fingerabdruck" in Strafverfahren und Zivilprozessen zur Identifikation von Straftätern bzw. zur Vaterschaftsfeststellung bereits breite Anwendung findet, ist das beim Abschluss von Versicherungsverträgen nicht der Fall. Bei Einstellungs-  und Vorsorgeuntersuchungen in der Arbeitswelt ist die Nutzung eng begrenzt. Zukünftige verbreitete Anwendung wird diskutiert, wenngleich von Arbeitsmedizinern als auch von Versicherungen betont wird, dass ein Nutzen genetischer Tests für das jeweilige Anwendungsfeld keinesfalls auf der Hand liegt. Gleichwohl wird ein zukünftiger Einsatz DNA analytischer Tests nicht ausgeschlossen. Breite Anwendung finden genetische Tests dagegen im Rahmen der humangenetischen Beratung und der pränatalen Diagnose. Konventionelle genanalytische Methoden (Chromosomenanalysen) werden hier schon seit Jahren genutzt, so dass neue DNA analytische Tests sich in eine breite etablierte Testpraxis einfügen.

In den einzelnen Anwendungsfeldern zeichnen sich folgende Probleme oder Konflikte bei der Anwendung genetischer Tests ab, aus denen sich politischer Handlungsbedarf ergibt oder in Zukunft ergeben könnte:

Die zunehmende Nutzung genetischer Tests im Rahmen der allgemeinen humangenetischen Beratung und bei der Durchführung pränataler Diagnosen wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Als zentrales Problem kann allerdings die sich abzeichnende Kluft zwischen der zunehmenden Anzahl durchgeführter Tests und dem begrenzten Angebot an qualifizierter Beratung, die als entscheidende Voraussetzung eines verantwortlichen Umgang mit den Testmöglichkeiten angesehen werden muss, gelten. Fraglich ist generell, ob die Richtlinien und Empfehlungen der Ärzteschaft und der Humangenetiker allein ausreichen, um einen verantwortlichen Umgang mit der wachsenden Zahl genetischer Testmöglichkeiten zu gewährleisten. Oberstes Ziel anzustrebender Maßnahmen sollte die Gewährleistung freiwilliger und informierter individueller Entscheidungen für oder gegen die Durchführung eines Gentests sein. Dies verlangt vor allem eine Sicherung des Angebots an qualifizierter, nicht direktiver und nicht kommerziell interessierter Beratung. Auch wäre den psycho- sozialen Problemen bei der Nutzung genetischer Tests insbesondere im Rahmen der pränatalen Diagnose mehr Rechnung zu tragen. Generell wäre der Gefahr zu begegnen, dass es zu einer schleichenden "Eugenik von unten" dadurch kommt, dass Ge  und Verbote eine Normierung genetischer Merkmale als erwünscht/unerwünscht bewirken.

Die Einschätzung der Chancen und Risiken einer Nutzung genetischer Befunde beim Einsatz genetischer Tests am Arbeitsplatz ist widersprüchlich. Sie können einerseits den Schutzinteressen des Arbeitnehmers und Dritter, andererseits betrieblichen Interessen dienen. Es kann aber auch zu materiellen und ideellen Belastungen kommen. Genetische Befunde können der Prävention dienen, aber auch zur Selektion eingesetzt werden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, mittels genetischer Tests den objektiven Arbeitsschutz durch individuelle Prävention zu ergänzen. Notwendig ist eine Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter und die Beantwortung der Frage, wie den Interessen der betroffenen Gruppen an den Chancen genetischer Tests gedient werden kann und ob ein fairer Interessenausgleich denkbar ist.

Eine Nutzung genetischer Tests durch Versicherungen kann vor dem Hintergrund steigender Kosten im Gesundheitswesen und einer Verschärfung der Konkurrenz in einem liberalisierten EG Binnenmarkt nicht ausgeschlossen werden. Genetische Tests könnten sich dementsprechend von einem Randphänomen zu einem strukturellen Merkmal bei der Risikoprüfung vor Abschluss von Versicherungen wandeln. Zu den vordringlichen Problembereichen würden dann der Umgang mit sensiblen Daten und die Veränderungen von Strukturen und Leistungen des Versicherungssystems gehören. Erwägungen zur Notwendigkeit und Ausgestaltung von Regelungen des Einsatzes genetischer Tests im privaten Versicherungswesen hätten im Wesentlichen zu prüfen, inwiefern zentrale Prinzipien der Freiwilligkeit und des Rechts auf Nichtwissen berührt oder beeinträchtigt wären. Auch wäre zu berücksichtigen, ob und inwiefern eine verbreitete Nutzung genetischer Analysen durch Versicherer eine nicht adäquate Risikoverteilung mit sich brächte. Änderungen im Versicherungsvertragsgesetz - orientiert am Prinzip eines Verbots der Nutzung genetischer Tests mit (restriktiver) Ausnahmefallregelung - müssten erwogen werden.

Die Problembereiche einer zukünftig verstärkten Nutzung des sogenannten "genetischen Fingerabdrucks" liegen in u.U. anfallenden Überschussinformationen bzw. im Missbrauch von Untersuchungsmaterial und  -ergebnissen begründet. Dies erfordert normenklare Regelungen, nicht zuletzt um dadurch eine Nutzung der genetischen Spurenanalytik im öffentlichen Interesse an frühzeitiger und sicherer Aufklärung rechtsverträglich möglich zu machen. In der Diskussion wird deshalb auch von denen, die §81 a, c StPO als Rechtsgrundlage für ausreichend halten, oft dafür plädiert, die DNA Analyse ausdrücklich in die Strafprozessordnung aufzunehmen. Eine entscheidende Begründung für eine entsprechende gesetzgeberische Initiative kann in der Gefahr des Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung gesehen werden. Dieses Recht widerspricht nicht dem Einsatz des DNA-fingerprinting, macht aber eine ausdrückliche Regelung mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen erforderlich.

Publikationen