Gentherapie und Gendiagnostik

  • Projektteam:

    Leonhard Hennen (Projektleitung), Thomas Petermann, Arnold Sauter

  • Themenfeld:

    Biotechnologie und Gesundheit

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    Monitoring

  • Starttermin:

    1998

  • Endtermin:

    2000

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Bereits 1993 hatte das TAB einen Bericht zu den Entwicklungsperspektiven und Problemen der Anwendung der genetischen Diagnostik vorgelegt. Es sind zwei Entwicklungen, die dazu führten, dass sich das TAB im Auftrag der Berichterstatter für Technikfolgenabschätzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages erneut mit dem Thema "genetische Tests" beauftragt wurde. Zum einen ist mit dem Abschluss des internationalen Projektes der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms zu erwarten, dass sich die Möglichkeiten der Diagnose von genetischen Merkmalen, die für die Entstehung von Krankheiten (mit)verantwortlich sind, immens erweitern werden. Zum anderen zeichnen sich technische Entwicklungen ab, die die Durchführung "genetischer Tests" in der medizinischen Praxis erheblich vereinfachen könnten, womit sich die Perspektive einer routinemäßigen Nutzung genetischer Tests in vielen medizinischen Praxisfeldern eröffnet.

Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung

Der vom TAB 1993 vorgelegte Bericht umfasste Untersuchungen für die Bereiche genetische Beratung und pränatale Diagnostik, Nutzung genetischer Analysen am Arbeitsplatz sowie Nutzung genetischer Analysen durch Versicherungen. Ziel der erneuten Befassung mit dem Thema Gendiagnostik war es, die neuen und sich heute abzeichnenden technischen Möglichkeiten, den aktuellen Stand der praktischen Nutzung genetischer Diagnostik sowie den Stand der gesellschaftlichen Diskussion in den schon 1991/92 untersuchten Bereichen zu analysieren. Der Charakter des Monitoring-Vorhabens entspricht somit dem eines "Update" des 1993 vorgelegten Berichtes.

Ergebnisse

Die Zahl der Krankheiten, für die genetische Ursachen bekannt sind, ist in den letzten Jahren enorm angewachsen. Seit Ende der 80er Jahre ist zudem zu beobachten, dass Ergebnisse der Genomforschung eine wachsende Zahl von neuen Diagnosemöglichkeiten in Form so genannter genetischer Tests für die medizinische Praxis verfügbar machen. Im Feld der humangenetischen Beratung und insbesondere in der pränatalen Diagnose von Feten im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge wurden genetische Diagnoseverfahren für Behinderungen und Erkrankungen, für die Veränderungen der Chromosomen verantwortlich sind, schon zu diesem Zeitpunkt vielfach genutzt. Auch erste genetische Tests, die Mutationen einzelner Gene für monogen bedingte relativ seltene Erbkrankheiten identifizieren können, fanden Eingang in die humangenetische Beratungspraxis und erweiterten und verbesserten die Diagnosemöglichkeiten. Ratsuchende, denen bisher nur auf der Basis von Familienanamnesen gewonnene Wahrscheinlichkeitsaussagen über ihr persönliches Risiko, Träger der erblichen Anlagen für eine Krankheit zu sein, angeboten werden konnten, eröffnete sich nun z.T. die Möglichkeit, Gewissheit über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen der entsprechenden erblichen Anlagen zu erlangen. Von Beginn an wurde diese erwünschte und für die Ratsuchenden hilfreiche Verbesserung der Diagnostik aber auch im Zusammenhang mit neuen Problemen diskutiert, die sich aus den erweiterten gendiagnostischen Möglichkeiten ergeben:

  • Genetische Tests auf DNA-Ebene ermöglichen eine prädiktive Diagnostik vor Ausbruch einer Erkrankung, ohne dass therapeutische oder präventive Maßnahmen zur Verfügung stünden. Die Diagnose konfrontiert den Ratsuchenden dann (im Falle monogener Erkrankungen) mit einem unausweichlichen genetisch bestimmten Schicksal und kann so eher zur Belastung und nicht zur Hilfe in der eigenen Lebensplanung werden.
  • Immer mehr genetische Merkmale können diagnostiziert werden. Dabei droht die Unterscheidung zwischen "krank" und "gesund" unscharf zu werden. Fraglich ist, welchen Sinn Diagnosen machen, die nicht eine manifeste Erkrankung, sondern lediglich eine Anfälligkeit oder ein Risiko für eine Erkrankung identifizieren.
  • In Bezug auf die Nutzung genetischer Tests im Rahmen der pränatalen Diagnose wird die Gefahr gesehen, dass alles, was getestet werden kann (auch leichtere Entwicklungsstörungen oder Merkmale ohne Krankheitswert), auch getestet und hieraus die unmittelbare Konsequenz eines Abbruches der Schwangerschaft gezogen wird. Insbesondere Selbsthilfegruppen von Behinderten warnen vor einer eugenischen Selektion von Feten und einer Diskriminierung von Behinderten, deren Existenz mit zunehmenden Testmöglichkeiten als "vermeidbar" angesehen werden könnte.
  • Die Ausweitung der Testmöglichkeiten - vor allem auch für Krankheitsanfälligkeiten - macht einen Missbrauch der Diagnosen durch Arbeitgeber und Versicherungen möglich. Der Abschluss von Versicherungs- und Arbeitsverträgen könnte vom "genetischen Profil" des Versicherungsnehmers bzw. des Arbeitnehmers abhängig gemacht werden.

Stand der Humangenomforschung

Seit Beginn des Jahres beherrscht die Berichterstattung über den Wettlauf um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms die Medien. Auch die Diskussion um die oben angesprochenen Chancen und Risiken genetischer Diagnostik wird vor diesem Hintergrund wieder intensiv geführt. Mit der Sequenzierung eines Basis- oder Referenzgenoms ist das erklärte Ziel der internationalen Humangenomforschung, aus der Struktur des menschlichen Genoms die Funktion einzelner Gene aufzuklären, mittlerweile einen Schritt näher gerückt, aber bei weitem noch nicht erreicht. Das "Referenzgenom" beschreibt die gemeinsame genetische Ausstattung der Menschen und ermöglicht einen Vergleich mit dem Genom anderer Organismen. Zu einer Aufklärung der Funktion einzelner Gene und insbesondere an der Entstehung von Krankheiten beteiligter Genmutationen sind jedoch die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen, also die Variation innerhalb des Genoms, von größerer Bedeutung. In medizinischer und pharmazeutischer Hinsicht sind vor allem mit Krankheiten verbundene genetische Varianten bedeutsam. Zur Aufklärung solcher Variationen und ihrer medizinischen Bedeutung wird zurzeit international eine Reihe unterschiedlicher Forschungsstrategien verfolgt.

Dass das bloße Wissen um Sequenzen von Genen oder Proteinen allein nur einen geringen erklärenden Wert hat, ist wissenschaftlich unumstritten, auch wenn dieser Umstand durch die vorrangige Konzentration auf die Sequenzermittlung bei der Diskussion über die Genomforschung zeitweilig kaum noch erwähnt wurde. Mit Fortschreiten des internationalen Human Genome Projektes wird zunehmend die Komplexität der eigentlichen Aufgabe, der angestrebten Funktionsaufklärung, thematisiert. Dabei wird durchaus auch die grundsätzliche Eignung der systematischen, primär quantitativ ausgerichteten "Big-Science"-Projekte hinterfragt, tatsächlich zur Erarbeitung eines fundamentalen Verständnisses z.B. von Krankheitsgeschehen beizutragen.

Genetifizierung der Medizin?

Fortschritte in der Identifizierung genetischer Ursachen der Entstehung von Krankheiten der letzten Jahre sind allerdings bereits heute zu verzeichnen. Die Zahl der im sog. Mc-Kusick-Katalog verzeichneten Krankheitsbilder, für die genetische Ursachen bekannt sind, betrug im Jahr 1992 rund 5.000. Mittlerweile ist sie auf rund 10.000 angewachsen. Waren bisher nur Tests für eher seltene Erbkrankheiten verfügbar, werden nun zunehmend auch Tests für weitverbreitete Volkskrankheiten entwickelt. Relevant für die Durchführung genetischer Tests in der medizinischen Praxis, sind auch Fortschritte in der Entwicklung der Testtechnologie. Bisher ist die Durchführung genetischer Diagnostik ein aufwendiger und spezielles Knowhow erfordernder Vorgang. Dies wird sich durch so genannte DNA-Chips, die es ermöglichen, mittels einer einzigen Gewebeprobe in einem Arbeitsgang mehrere hundert genetische Merkmale gleichzeitig zu testen, ändern.

Die sich abzeichnende Erleichterung der Testdurchführung und die Zunahme der Testmöglichkeiten haben dazu geführt, dass ein Thema in der aktuellen Diskussion um die Möglichkeiten genetischer Diagnostik vorherrschend ist: die Möglichkeit, dass - gegenüber der bisherigen Fokussierung der Humangenetik auf die seltenen monogenen Erkrankungen - wenn nicht schon jetzt, so doch in naher Zukunft eine massive Ausweitung der genetischen Testmöglichkeiten und -praxis auf multifaktoriell bedingte, weitverbreitete "Volkskrankheiten" wie Herz-Kreislauf-, Krebs- oder neurodegenerative Erkrankungen erfolgen wird. Je nach Position wird dabei entweder betont, dass dieser Prozess einhergehen wird mit einem erweiterten Verständnis der tatsächlichen Krankheitsursachen und der Entwicklung hochspezifischer, individuell abstimmbarer Präventionsmaßnahmen. Oder aber es wird eindringlich davor gewarnt, dass die Ausweitung der Testpraxis weitgehend unkontrolliert geschehen wird, ohne Einhaltung bisheriger ethischer und qualitätssichernder Standards, mit der Folge einer unreflektierten "Genetifizierung" der Medizin wie der gesamten Gesellschaft, bei gleichzeitiger Öffnung einer Schere zwischen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.

Stand der Nutzung

Zum jetzigen Zeitpunkt fällt es schwer, zu diesen globalen Szenarien eine nüchterne Einschätzung abzugeben. Auffällig in der Diskussion ist aber, dass auch diejenigen (Forscher, Mediziner, Humangenetiker), die grundsätzlich die sich mit der Humangenomforschung neu ergebenden medizinischen - nicht nur diagnostischen, sondern langfristig auch therapeutischen - Möglichkeiten hoch bewerten, zunehmend vor den Möglichkeiten des Missbrauchs und des "Wildwuchses" genetischer Diagnostik warnen. Auf der Basis des im Rahmen des TAB-Projektes durchgeführten Recherchen scheinen folgende Aussagen die derzeitige Situation angemessen zu charakterisieren:

  • Es konnte in den vergangenen Jahren eine Ausweitung der genetischen Diagnostik beobachtet werden. Dies betraf zum überwiegenden Teil den Bereich der Pränataldiagnostik (vor allem Ausweitung der Chromosomenanalysen). Hier zeigen sich erhebliche Probleme: Eine erforderliche Beratung der Schwangeren findet kaum statt, tendenziell gilt nun nahezu jede Schwangerschaft als Risikoschwangerschaft. Mit der Novellierung des § 218 hat sich das Problem ergeben, dass Abtreibungen bei einer festgestellten Behinderung oder Erkrankung des Fetus auch nach der 24. Schwangerschaftswoche möglich sind. Die Entwicklung der Präimplantationsdiagnostik - der genetischen Diagnose von Embryonen vor Einführung in die Gebärmutter im Rahmen einer künstlichen Befruchtung - hat die Themen "moralischer Status des Embryos" und "eugenische Selektion" neu auf die Tagesordnung gebracht.
    In der klinischen Praxis erfolgt eine Diagnostik menschlicher DNA nach wie vor fast ausschließlich zu monogenen Erbkrankheiten, bei denen sich die Testmöglichkeiten quantitativ durchaus erweitert haben. In der überwiegenden Zahl dienen sie der Diagnoseerstellung ausgebrochener Krankheiten, zur Abklärung diskreter Symptome bei Menschen aus belasteten Familien oder der Heterozygotendiagnostik bei autosomal rezessiven oder X-chromosomalen Krankheiten wie Mukoviszidose.
  • Die seit Jahren diskutierte Gefahr einer Nutzung genetischer Diagnostik bzw. der Ergebnisse genetischer Test durch Lebens- und Krankenversicherer hat sich bisher in Deutschland nicht in einer entsprechenden Praxis konkretisiert. Die Versicherer befinden sich aber nach wie vor in einer "Warteposition" und behalten sich vor, bei entsprechend geänderten Rahmenbedingungen genetische Tests zu nutzen. Die im Ausland - insbesondere in Großbritannien - derzeit feststellbare Tendenz einer erweiterten Nutzung genetischer Diagnosen durch Versicherungen könnte auch in Deutschland und anderen Ländern schnell zu einer Aufgabe der Zurückhaltung führen.
  • Zwei neue Anwendungsbereiche der DNA-Diagnostik außerhalb der Humangenetik haben in den vergangenen Jahren vermutlich die stärkste Verbreitung und praktische Bedeutung in der angewandten Medizin gefunden, nämlich die verbesserte Differentialdiagnostik von Infektionskrankheiten und von Tumorerkrankungen. Diese Anwendung genetischer Diagnostik kann als eine Erweiterung allgemeiner medizinischer Krankheitsdiagnostik verstanden werden, die keine mit der Diagnostik von erblichen Merkmalen vergleichbaren Probleme aufwirft.
  • In den vergangenen zwei Jahren wurden darüber hinaus als konkrete, ökonomisch möglicherweise attraktive Anwendungen der Genomforschung besonders intensiv die Pharmako- und Toxikogenomik diskutiert, die genetisch bedingte Unterschiede im Stoffwechsel von Medikamenten und Giftstoffen untersuchen.
  • Insbesondere aus diesen beiden Bereichen erwartet man mögliche Auswirkungen auf eine Nutzung entsprechender Tests vor allem zur prädiktiven Abklärung genetisch bedingter Empfindlichkeiten gegenüber bestimmten Stoffen am Arbeitsplatz. Zum jetzigen Zeitpunkt werden DNA-Analysen in der Arbeitsmedizin, soweit bekannt, nicht eingesetzt, wohingegen Verfahren auf Chromosomen- und Genproduktebene zum Nachweis erworbener Schädigungen durch Expositionen fest etabliert sind.
  • Das Thema, das zurzeit die Diskussion um Chancen und Risiken genetischer Diagnostik vor allem bewegt, ist die prädiktive Diagnostik, d.h. die Diagnose einer Krankheitsdisposition vor Auftreten der ersten Symptome. Das Spektrum dessen, was unter diesen Begriff fällt, ist sehr weit und ohne definierte Übergänge: Unter den immer wieder diskutierten, exemplarischen Beispielen reicht es von der Diagnose spätmanifester, dominanter Krankheiten wie der Chorea Huntington über die Bestimmung des Brustkrebsrisikos bei Mutation des BRCA-Gens bis hin zur Analyse der ApoE-Allele als Indikatoren eines Alzheimer-Risikos. Der medizinische Nutzen solcher Tests, die keine sichere Prognose über den Ausbruch einer Krankheit, sondern nur die Feststellung eines erhöhten Risikos erlauben, ist problematisch und auch unter Fachleuten umstritten.

Ausweitung der Testpraxis?

Weder die Hoffnungen noch die Ängste bezüglich einer umfassenden prädiktiven genetischen Diagnostik im Sinne einer Diffusion prädiktiver Tests in die allgemeine medizinische Praxis sind durch die zum momentanen Zeitpunkt gegebenen realen Möglichkeiten substantiell begründet. Das heißt weder, dass eine Ausdehnung genetischer Tests - vermutlich zunächst in moderater Weise - nicht stattfinden wird, noch kann dies die derzeit schon bestehenden Probleme der Nutzung genetischer Diagnostik relativieren.

Für eine Ausweitung genetischer Tests spricht mit am stärksten der "technologische Druck", der auf Dauer von den wachsenden Anwendungsmöglichkeiten der DNA-Chip-Technologie und der damit gegebenen Vereinfachung und Verbilligung der Diagnostik ausgehen wird. Auch die wachsende Bedeutung des Präventionsgedankens im System der Gesundheitsversorgung könnte zusammen mit dem (auch bei Medizinern verbreiteten) Mangel an Wissen über Leistungen und Grenzen genetischer Diagnostik zu einer Testpraxis führen, die sich eher am Prinzip "Was diagnostizierbar ist, sollte auch diagnostiziert werden" als an einer gründlichen medizinischen Abwägung des Nutzens eines Testangebotes für den Patienten orientiert.

Gegen eine massive Ausweitung der Testpraxis - insbesondere prädiktiver genetischer Tests zu multifaktoriellen Krankheitsrisiken, zumal wenn keine spezifischen Präventionsmöglichkeiten angeboten werden können - spricht deren äußerst begrenzte Aussagekraft, die um so geringer ist, je mehr Faktoren an einem Krankheitsausbruch beteiligt sein können. Medizinisch macht es keinen relevanten Unterschied, ob ein allgemeines Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Krebs um einige Prozent erhöht ist - die Empfehlungen für eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise bleiben die gleichen. Dies mag zwar den durchschnittlich informierten Patienten nicht davon abhalten, trotzdem einen Test zu wünschen - dem entgegen steht jedoch die notwendige Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen.

Sollte es zu einer relevanten Ausweitung der Testpraxis kommen, werden sich die bestehenden Probleme der humangenetischen Beratung und der Pränataldiagnostik wahrscheinlich massiv verschärfen. Eine angemessene medizinische Aufklärung und psychosoziale Betreuung von Patienten und auch eine technisch qualifizierte Durchführung von Tests und wissenschaftlich einwandfreie Interpretation von Testergebnissen wäre kaum noch zu gewährleisten. In dieser Hinsicht zumindest bei der Pränataldiagnostik heute bereits deutliche Probleme zeigen, dass die standesrechtliche Selbstregulierung eines sich so dynamisch entwickelnden Feldes wie der Gendiagnostik hinsichtlich der Vermeidung von Fehlentwicklungen überfordert sein könnte. Da eine Diffusion genetischer Diagnostik in weitere Anwendungsfelder (über die humangenetische Beratung und die pränatale Diagnostik hinaus) nicht auszuschließen ist - zumindest die Frage der Nutzung von Testergebnissen durch Versicherungen wird sich in naher Zukunft mit einiger Sicherheit stellen -, erscheint die neuerliche intensive politische Beschäftigung mit dem Thema Gendiagnostik sowie die Diskussion um die Setzung von Rahmenbedingungen durch ein Gendiagnostikgesetz durchaus angebracht.

Gesetzliche Regelung der genetischen Diagnostik

Ein Blick auf entsprechende Regelungen im österreichischen Gentechnikgesetz und einen Entwurf für ein Gendiagnostikgesetz in der Schweiz kann für die zentralen Aspekte möglicher gesetzlicher Regelungen instruktiv sein. Die beiden Gesetzestexte weisen in Einzelfragen eine unterschiedliche Regelungstiefe, was die als relevant angesehenen Regelungsfragen und die Inhalte der Regelungen angeht, aber auch deutliche Überschneidungen auf.

  • Leitendes Prinzip der Regelung ist die Eingrenzung der Nutzung von Gendiagnostik auf medizinische Zwecke und die Bindung der Veranlassung genetischer Untersuchungen an den Arztvorbehalt bzw. eine fachärztliche Qualifikation.
  • Der Einsatz von Gendiagnostik oder die Nutzung von genetischen Daten durch Arbeitgeber und Versicherungen wird restriktiv geregelt (grundsätzliches Verbot bzw. Verbot mit wohldefinierten Ausnahmen).
  • Das Selbstbestimmungsrecht der untersuchten Person prägt sowohl die Regelungen zur Durchführung von Tests, die nur mit schriftlicher Zustimmung der zu untersuchenden Person erfolgen kann, als auch die Regelungen zum Umgang mit den genetischen Daten, die im Prinzip nicht - und wenn, nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Klienten/der Klientin - an Dritte (auch an Verwandte) weitergegeben werden dürfen.
  • Die Qualität der genetischen Beratung ist Gegenstand von Regelungen, die im Einzelnen die Art der im Beratungsgespräch zu vermittelnden Informationen, die Ausrichtung der Beratung am Prinzip der Nicht-Direktivität und die strikte Bindung der Durchführung genetischer Untersuchungen an eine ausführliche (auch psychosoziale) Beratung vor und nach der Diagnose vorschreiben.
  • Zur Sicherung der Qualität von Diagnose und Beratung wird die Durchführung genetischer Untersuchungen von einer staatlichen Zulassung der gendiagnostischen Labore, Praxen oder Institute abhängig gemacht.
  • Insbesondere in Bezug auf die Pränataldiagnostik wird neben der Qualität der humangenetischen Beratung auch eine unabhängige (nicht medizinische oder humangenetische) Beratung (zumindest als Option) sowie die Gewährleistung eines entsprechenden institutionalisierten Beratungsangebotes vorgeschrieben.
  • Die Einführung genetischer Tests wird nicht dem Markt überlassen. Vielmehr ist eine behördliche Zulassung genetischer Tests vorgesehen.
  • Zur Gewährleistung der Kontrolle von gendiagnostischen Einrichtungen, zur Formulierung verbindlicher Standards, für die Zulassung von Tests oder zur Beratung von mit diesen Aufgaben betrauten Behörden wird eine zentrale Kommission eingerichtet, in der Experten verschiedener Disziplinen und verschiedene gesellschaftliche Gruppen vertreten sind.

Publikationen