Positive Veränderung des Meinungsklimas - konstante Einstellungsmuster. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des TAB zur Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Technik

  • Projektteam:

    Leonhard Hennen (Projektleitung)

  • Themenfeld:

    Digitale Gesellschaft und Wirtschaft

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    Monitoring

  • Starttermin:

    2001

  • Endtermin:

    2002

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Öffentliche Kontroversen und Konflikte um wissenschaftlich-technische Fragen sind schon seit langem Gegenstand wissenschaftlicher wie auch politischer Diskussionen. Dabei hat die Vermutung, die deutsche Bevölkerung sei wissenschaftlich-technischen Neuerungen gegenüber feindlich bis desinteressiert eingestellt, insbesondere in den 1980er Jahren und in den 1990er Jahren im Kontext der so genannten Standortdebatte als politisches Argument eine nicht unerhebliche Rolle gespielt, obwohl sozialwissenschaftliche Untersuchungen zeigen konnten, dass von einer weit verbreiteten „Technikfeindlichkeit“ in der deutschen Bevölkerung keine Rede sein kann.
In jüngster Zeit lässt sich ein verstärktes Bemühen um die (Neu-)Bestimmung des Dreieckes Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit feststellen. Hintergrund solcher Bemühungen sind neben aktuellen Kontroversen, z.B. um ethische Fragen der Biomedizin (Gendiagnostik- und Therapie, Fortpflanzungsmedizin, therapeutisches Klonen), auch Fragen und Probleme, die sich im Zusammenhang aktueller Diskussionen um die sog. Wissensgesellschaft stellen.

Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung

Die bisherigen Untersuchungen des TAB im Rahmen des Monitoring-Vorhabens (vgl. TAB-Arbeitsberichte Nr. 24 u. 54) zeigten, dass von einer im internationalen Vergleich besonders ausgeprägten kritischen oder skeptischen Einstellung der Deutschen gegenüber Wissenschaft und Technik keine Rede sein kann. Ausgeprägte Technikfeindlichkeit als konsistente Einstellung ist eher die Ausnahme. Im Großen und Ganzen ist das Urteil der Bevölkerung gegenüber modernen Technologien durch Ambivalenz geprägt, d.h. positive und negative Seiten der technischen Entwicklung werden gleichermaßen gewürdigt, und die Einstellungen differieren je nach Technologie und nach unterschiedlichen Anwendungsfeldern einzelner Technologien.

Stand der Arbeiten

Nachdem das TAB bereits 1997 eine repräsentative Umfrage zur Technikeinstellung der Deutschen durchgeführt hatte, wurden die Aktivitäten im Monitoring-Vorhaben auf Beschluss des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 16. Mai 2001 mit der Durchführung einer weiteren repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Februar/März 2002 fortgesetzt. Die Auswertung der Umfrage wurde im November 2002 (TAB-Arbeitsbericht Nr. 83) abgeschlossen.

Im Berichtzeitraum wurde darüber hinaus mit der Erarbeitung eines Sachstandsberichtes zum Thema „Neue Formen des Dialogs zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit“ begonnen. Ziel der voraussichtlich im Oktober 2003 abgeschlossenen Arbeiten ist es, den Stand der Forschung zu neuen Formen des Dialogs zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit im Hinblick auf die Aufgabe, die der Politik bei der Gestaltung eines neuen Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit zukommt, auszuwerten. Auf der Basis von Kurzexpertisen soll ein Workshop mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft durchgeführt werden, der sich insbesondere mit der Möglichkeit einer aktiveren Rolle des Deutschen Bundestages bei der Entwicklung und Etablierung neuer Verständigungs- und Kooperationsformen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit befassen soll.

Ergebnisse

Die im Februar/März 2002 durchgeführte Umfrage greift Fragestellungen der vom TAB im Jahr 1997 durchgeführten Umfrage erneut auf, umfasst darüber hinaus aber auch Fragen, die aktuell die Diskussion um Wissenschaft und Technik bestimmen. Parallel und ergänzend zur standardisierten Umfrage wurden Gruppendiskussionen mit zufällig ausgewählten Laien (sog. Fokusgruppen) zu einigen der in der Umfrage behandelten Themen durchgeführt, die zusätzlich Aufschluss über die Einstellung der Bevölkerung zu aktuellen wissenschaftlich-technischen Themen geben sollten.

Positiv verändertes Meinungsklima

Die Bevölkerungsumfrage bestätigt das auch aus anderen Untersuchungen bekannte Bild der Technikeinstellung der breiten Öffentlichkeit:

  • „Alles in allem“ werden „Technik“ und „technischer Fortschritt“ überaus positiv bewertet. Nur eine Minderheit von deutlich unter 10 % der Befragten zeigt sich bei bilanzierenden Fragen zur Technikeinstellung negativ eingestellt.
  • Die Einstellung differiert aber je nach Technologiefeld. Alltags- oder Haushaltstechnik und insbesondere der wissenschaftlich-technische Fortschritt in der Medizin werden nahezu einhellig positiv gesehen. Dagegen halten sich bei Groß- oder Risikotechnologien Ablehnung und Zustimmung die Waage, oder es überwiegt – wie bei der Kernenergie – die Skepsis.
  • Auch hinsichtlich eines Technologiefeldes kann die Einstellung stark differieren, je nach welcher Anwendung gefragt ist bzw. je nach der Zielsetzung, mit der die Nutzung einer Technologie verbunden ist. Ganz deutlich ist dies bei der Gentechnik ausgeprägt.

Hinter dem Urteil der meisten Befragten (ob in der Bilanz eher positiv oder eher negativ eingestellt) steht ein mehrdimensionales oder ambivalentes Bild von den Vor- und Nachteilen der technischen Entwicklung. So werden die Bedeutung der technischen Entwicklung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft wie auch negative Auswirkungen auf das Alltagsleben (mehr Hektik und Verlust von Zwischenmenschlichkeit) gleichermaßen gesehen.

Neben der Bestätigung der o.g. Muster zeigt die Umfrage eine im Vergleich zu 1997 deutliche Zunahme des Anteils positiver Urteile über Technik. Dies trifft nicht nur für die in der Umfrage gestellten so genannten Bilanzurteilsfragen nach der generellen Einstellung zu „Technik“ und „technischem Fortschritt“ zu. Vielmehr hat fast durchgängig die Zustimmung zu positiv gepolten Statements (z.B. zur wirtschaftlichen Bedeutung von Technik) zugenommen und zu negativ gepolten Statements (z.B. zu den Umweltauswirkungen der technischen Entwicklung) abgenommen. Auch bei den Fragen nach einzelnen Technologiefeldern oder Anwendungsbereichen ist diese positive Tendenz in der Einstellung festzustellen. Da die positive Tendenz so konsistent bei allen Fragen auszumachen ist, kann durchaus von einer – im Vergleich zu den gesamten 1990er Jahren – generell positiven Entwicklung des Meinungsklimas für Wissenschaft und Technik gesprochen werden. Eine eingehende Analyse der Umfragedaten und auch die Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen lassen den Schluss zu, dass die positive Veränderung des Meinungsklimas vor allem mit der wahrgenommenen Bedeutung von Wissenschaft und Technik für die wirtschaftliche Entwicklung zusammenhängt. Auch wenn nach wie vor das Thema „Abbau von Arbeitsplätzen durch technische Rationalisierung“ von Bedeutung für die Technikeinstellung ist, haben die anhaltende Wirtschaftskrise und die Diskussionen um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft doch zu einer positiven Veränderung in der Wahrnehmung des Wirtschaftsfaktors „technische Innovation“ beigetragen.

Trendwende in der Einstellung zur Gentechnik?

Betrachtet man die Einstellungsentwicklung zu verschiedenen wichtigen Technologiefeldern, zeigt sich, dass einzig die Kernenergie an der zu verzeichnenden positiven Entwicklung des Meinungsklimas nicht partizipieren kann. Hier überwiegt nach wie vor eine skeptische bis deutlich ablehnende Haltung in der Bevölkerung. Dagegen hat sich im Vergleich zu 1997 die Einstellung zur Gentechnologie gewandelt. Die Zahl derjenigen Befragten, die eine staatliche Förderung dieses Technologiefeldes befürworten, hat deutlich zugenommen – auch wenn die Zahl derjenigen, die sich unentschieden oder ablehnend äußern, zusammengenommen immer noch überwiegt. Ob dies als dauerhafte Trendwende in der Einstellung zur Gentechnik zu werten ist – oder eher als Effekt kurzfristiger Veränderungen etwa vor dem Hintergrund der vielfach als Meilenstein in der medizinischen Forschung gefeierten Erfolge der Humangenom-Forschung – bleibt abzuwarten. Bestand hat die deutlich kritische Einstellung gegenüber der „Grünen Gentechnik“ – vor allem gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Gegenüber diesem Anwendungsfeld der Gentechnik – das zeigten auch die Fokusgruppen – bestehen nach wie vor erhebliche Vorbehalte wegen vermuteter gesundheitlicher Risiken. Die Nutzung der Gentechnik im medizinischen Kontext wird demgegenüber deutlich positiv gesehen. Die Hoffnung auf Erfolge in der Bekämpfung von Krankheiten wie Krebs verschafft hier Forschung wie auch Anwendung einen erheblichen Bonus. In der Bewertung konkreter biomedizinischer Verfahren – wie der Präimplantationsdiagnostik (PID) – zeigt sich dagegen eine deutliche Ambivalenz in der Einstellung. Die Umfrage erbrachte hier kein eindeutiges Meinungsbild. Das Antwortverhalten zu verschiedenen Pro- und Contra-Statements, die den Befragten vorgelegt wurden, wie auch die Äußerungen in der zum Thema PID durchgeführten Fokusgruppe, zeigen die überwiegende Unentschiedenheit und z.T. auch Widersprüchlichkeit der Urteile, die durch die positiven Assoziationen der „Vermeidung von Krankheit und Leid“ auf der einen und durch die Angst vor Missbrauch und das Unbehagen an einem als Grenzüberschreitung gesehenen Eingriff (der „dem Menschen nicht zusteht“) auf der anderen Seite bestimmt sind.

Insgesamt muss man davon ausgehen, dass das Wissen großer Teile der Bevölkerung nicht nur über technische und naturwissenschaftliche Zusammenhänge biomedizinischer Verfahren, sondern auch über ethische Argumente, die in politischen Debatten über das Pro und Kontra neuer biomedizinischer Verfahren – wie die PID – eine Rolle spielen, gering ist. Es drängt sich der Eindruck auf, dass von den intensiven Diskussionen auf parlamentarischer Ebene über Biomedizin im Allgemeinen und PID und Stammzellforschung im Besonderen bei einem Grossteil der Bevölkerung nur recht wenig bekannt ist. Allerdings ist auch die Bereitschaft, sich über die Rezeption von tagesaktuellen Nachrichten hinaus mit diesen Themen auseinander zu setzen, eher gering.

BSE und elektromagnetische Strahlung

Ganz anders dagegen bei Themen, von denen man sich unmittelbar selbst betroffen fühlt: Die Rinderseuche BSE hat ganz offensichtlich bei einem Großteil der Bevölkerung zu erheblicher Verunsicherung und zu entsprechendem Bedarf an Informationen über das bestehende Gesundheitsrisiko geführt. Zwar lässt sich anhand verschiedener Umfragen zeigen, dass über die Zeit das Gefühl akuter Gefährdung durch BSE nachlässt. Allerdings waren im Februar 2002 laut TAB-Umfrage nur rund 30 % der Bevölkerung der Meinung, dass man das BSE-Problem im Griff habe und man sich nun keine Sorgen mehr machen müsse. Der BSE-Skandal hat offensichtlich zu einer deutlichen Erschütterung des Vertrauens in den Verbraucherschutz und zu deutlicher Skepsis gegenüber der konventionellen Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion geführt. Knapp die Hälfte der Befragten stimmt einer grundsätzlichen Umstellung auf ökologische Landwirtschaft zu, auch wenn damit die Preise steigen würden.

Nicht in dem Maße wie bei BSE, aber doch recht ausgeprägt scheint auch die Verunsicherung über die gesundheitlichen Risiken der von Mobilfunksendeanlagen ausgehenden hochfrequenten elektromagnetischen Felder im Zuge des Ausbaus des neuen Mobilfunkstandards UMTS zu sein. Auch wenn man – wie die Fokusgruppendiskussion zu UMTS zeigt – davon ausgehen muss, dass genaue Kenntnisse über bestehende Grenzwerte und den Stand der Forschung zu Gesundheitsrisiken elektromagnetischer Felder nur bei den wenigsten vorausgesetzt werden können, bewegt das Thema doch einen Großteil der Bevölkerung. Über die Hälfte der Befragten stimmt der Meinung zu, dass man sich als Anwohner von Mobilfunksendeanlagen Sorgen um seine Gesundheit machen müsse. Ebenfalls mehr als die Hälfte der Befragten hält die bestehenden Grenzwerte für unzureichend, und fast zwei Drittel halten die Information über Risiken durch Mobilfunkbetreiber und Behörden für mangelhaft. Die zum Thema durchgeführte Fokusgruppe bestätigt den angesichts weit verbreiteter Handynutzung nahe liegenden Schluss, dass die Sorge bezüglich gesundheitlicher Risiken nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung von UMTS verbunden sein muss. Deutlich wird aber, dass nur die wenigsten eine Sendeanlage in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ohne Bedenken hinzunehmen bereit wären, und dass die Erwartung, durch Betreiber und lokale Behörden umfassend und frühzeitig über geplante Standorte informiert zu werden, deutlich ausgeprägt ist.

Skepsis gegenüber der Steuerungsfähigkeit der Politik

Eine insgesamt positivere Einstellung zu Wissenschaft und Technik zeigt auch das Antwortverhalten zu einigen Statements zu Fragen der politischen Steuerung und zu den wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der technischen Entwicklung. So ist gegenüber 1997 der Anteil derjenigen, die dem Statement „Ohne neue Technologien werden wir den Wettbewerb mit anderen Ländern verlieren“ gegenüber 1997 um 10 % auf rund 40 % gestiegen, und nur noch rund 32 % der Befragten (gegenüber 37 % im Jahr 1997) stimmen der Aussage zu, „dass für den Erhalt der Umwelt der Einsatz von Technik vermindert werden muss“. Allerdings scheint von dem generell positiveren Meinungsklima die „Politik“ nicht zu profitieren. Gegenüber der Steuerungsfähigkeit der Politik besteht nach wie vor überwiegend Skepsis. Auch die Fokusgruppen zeigen das weit verbreitete Misstrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik – insbesondere dann, wenn es um Fragen der Risikovorsorge und des Verbraucherschutzes geht. Zudem finden sich Hinweise darauf, dass eine durchaus grundsätzlich positive Einstellung gegenüber Wissenschaft und Technik vielfach mit einer eher fatalistischen Einschätzung der Möglichkeiten, die technische Entwicklung überhaupt steuern zu können, und insbesondere der Chancen von Bürgerinnen und Bürgern, Einfluss in technologiepolitischen Fragen nehmen zu können, verbunden ist.

Publikationen


Alle Berichte aus dem Monitoring "Technikakzeptanz und Kontroversen über Technik"