Xenotransplantation

  • Projektteam:

    Thomas Petermann (Projektleitung), Arnold Sauter

  • Themenfeld:

    Biotechnologie und Gesundheit

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    Monitoring

  • Starttermin:

    1998

  • Endtermin:

    1999

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Die Übertragung von Tierorganen auf den Menschen, die Xenotransplantation, wird seit einigen Jahren verstärkt als zukünftige Ergänzung oder gar Alternative zur zwischenmenschlichen Organspende diskutiert. Neben die verständlichen, aber nicht unumstrittenen Hoffnungen sind plausible Warnungen vor realen, möglicherweise schwer beherrschbaren Infektionsrisiken getreten, die den Patienten, sein Umfeld und letztlich die gesamte Bevölkerung betreffen können. Diese widersprüchliche und spannungsreiche Situation und die noch weitgehend ungeklärten Potenziale der Xenotransplantation erfordern eine nüchterne Bestandsaufnahme und vorurteilsfreie Beurteilung auf allen Ebenen der Gesellschaft.

Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung

Das Monitoring-Vorhaben "Xenotransplantation" sollte einen Überblick der internationalen, vor allem der (forschungs- und gesundheits)politischen Debatte über Perspektiven und Herausforderungen der Xenotransplantation erarbeiten, eine Bestandsaufnahme des aktuellen naturwissenschaftlich-medizinischen Forschungsstandes vornehmen, die Rechtslage in Deutschland sowie zentrale ethische Fragen umreißen und formuliert auf dieser Basis Hinweise zum weiteren wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Diskussions- und Handlungsbedarf formulieren.

Ergebnisse

Die internationale Debatte

Das zunehmende Interesse an den Potenzialen und Problemen dieser neuen medizinischen Technologie spiegelt sich wider in einer wachsenden Zahl von Gutachten, Stellungnahmen und anderen Dokumenten zur Xenotransplantation, die von Regierungen bzw. nationalen Behörden oder internationalen Organisationen in Auftrag gegeben worden sind. Insgesamt ist eine wachsende Skepsis gegenüber der Erwartung festzuhalten, dass die Xenotransplantation in absehbarer Zeit zu einem risikoarmen therapeutischen Ansatz fortentwickelt werden kann. Auffallend ist auch die fast einhellige Forderung nach Richtlinien, mittels derer die Aufnahme klinischer Versuche verbindlich geregelt und in ihren potenziellen Risiken begrenzt werden soll.

Medizinisch-naturwissenschaftliche Aspekte

Der Stand von Forschung und Entwicklung zur Xenotransplantation lässt sich anhand dreier zentraler Fragestellungen charakterisieren: die Überwindung der Abstoßung, die Gewährleistung der physiologischen Funktionalität und die Beherrschung der Infektionsrisiken. Die Abstoßung des Fremdorgans durch das Immunsystem des Empfängers stellt auch bei der zwischenmenschlichen Organübertragung nach wie vor das größte Problem dar; bei der Einpflanzung eines tierlichen Organs in einen Menschen treten darüber hinaus nicht nur heftigere, sondern auch ganz andere Abstoßungsreaktionen auf. Davon scheint bislang lediglich die sogenannte hyperakute Abstoßung - vor allem durch Fortschritte bei der Herstellung gentechnisch veränderter Schweine(organe) - einigermaßen kontrollierbar zu sein. Bei den drei anderen Abstoßungsphasen, der akut vaskulären/verzögerten, der zellulären und der chronischen, besteht noch immenser Forschungsbedarf. Gleiches gilt für die Frage der physiologischen Verträglichkeit und Funktionsfähigkeit der Organe, die noch kaum untersucht worden ist bzw. nicht untersucht werden konnte.

Die größte Bedeutung in der Diskussion hat allerdings mittlerweile das erhebliche Infektionsrisiko durch bislang unbekannte Erreger (viraler Art) erlangt, das nicht nur den Empfänger betreffen würde, sondern potenziell eine Bedrohung darstellt, die weit über sein unmittelbares Umfeld hinausgehen kann. Auch hier steht die Forschung noch am Anfang. Trotzdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass klinische Versuche in wenigen Jahren aufgenommen werden. Der Zeithorizont für eine weitere Verbreitung der Xenotransplantation dürfte im günstigsten Fall bei 15-20 Jahren liegen. Ein Vergleich mit Alternativtechnologien (künstliche oder bioartifizielle Organe, Therapie der relevanten Erkrankungen) weist diese ebenfalls als Langfristoptionen aus, deren Vorzüge und Nachteile gründlich geprüft werden sollten.

Die Betrachtung der internationalen Forschungslandschaft zeigt, dass Deutschland - neben den dominierenden USA und Großbritannien - zu den führenden Forschungsstandorten auf dem Gebiet der Xenotransplantation gehört.

Recht und Ethik

Vor allem die ungeklärten Infektionsrisiken haben - auch international - zu der nahezu einhelligen Meinung geführt, dass die Xenotransplantation speziell reguliert werden muss, auf jeden Fall national, im Grunde aber international. Einige Länder haben hierzu erste Initiativen ergriffen oder bereits Institutionen geschaffen. Ein Überblick zur rechtlichen Situation in Deutschland zeigt, dass z.B. Arzneimittelgesetz, Gentechnikgesetz und Tierschutzgesetz zwar im Rahmen ihrer Regelungsbereiche auch für die Xenotransplantation einschlägig sind (nicht jedoch das Transplantationsgesetz). Da aber berechtigte Zweifel daran bestehen, dass mit den bestehenden Normen der Bedeutung dieser medizinischen "Neulandtechnologie" mit potenziell globalen Folgedimensionen adäquat Rechnung getragen wird, führt der hier erkennbare Forschungs- und Handlungsbedarf zur Forderung nach einer sorgfältigen rechtswissenschaftlichen Diskussion und einer rechtspolitischen Überprüfung durch die entsprechenden Instanzen.

Die ethische Diskussion lässt zwei Schwerpunkte erkennen: eine Abwägung moralischer Rechte und Interessen von Menschen sowie eine Erörterung des Spannungsverhältnisses zwischen menschlichen und tierlichen Rechten und Interessen. Die humanethischen Aspekte der Xenotransplantation sind ausgesprochen vielgestaltig und hängen zumeist eng miteinander zusammen. Intensiv diskutiert werden z.B. die Milderung des Mangels an transplantablen Organen, die Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit, die Ethik des Humanexperiments, die zurzeit noch nicht erkennbare Beherrschung des Infektionsrisikos, die informierte Zustimmung und die medizinischen und sozialen Alternativen. Durch Art- und Naturethik sowie insbesondere die Tierethik wird deutlich, dass die Rechte und Interessen von Tieren als "moralische Wesen" in erheblichem Maße gefährdet sind. Eine ethische Rechtfertigung der Xenotransplantation kann also nur über sorgfältig begründete und tragfähige Argumente gelingen. Diese müssen letztlich die Frage beantworten, ob menschliches Leid so hoch wiegt, dass Leiden und Tod von Tieren hingenommen werden kann. Zusammenfassend kann man aus der ethischen Diskussion den Eindruck gewinnen, dass bei der Frage, ob die Xenotransplantation zurzeit ethisch rechtfertigbar ist, Skepsis überwiegt.

Diskussions- und Handlungsbedarf

Nicht zuletzt im Licht der durch die ethische Diskussion zutage geförderten Widersprüche und Probleme kann insgesamt umfangreicher Diskussions- und Handlungsbedarf zum Thema Xenotransplantation benannt werden:

  • Die Wissenschaftsgemeinschaft ist aufgefordert, sich dringend einer umfassenden Überprüfung und Bewertung des Forschungs- und Entwicklungsstandes anzunehmen, die fach- und professionsgebundene Einzelperspektiven übergreifend integrieren.
  • Die Politik ist aufgerufen, dem Beispiel anderer Staaten und der Empfehlung nahezu aller relevanten Stellungnahmen folgend, für die Xenotransplantation eine angemessene Regulierungsstrategie zu entwerfen und umzusetzen.
  • Die Gesellschaft als Ganzes ist gefordert, eine ethische Abwägung des möglichen Nutzens und des möglichen Schadens der Xenotransplantation zu leisten und entsprechend gesellschaftlich verträgliche, zumindest akzeptable Lösungen für die anstehenden Probleme zu entwickeln.

Publikationen


Xenotransplantation. Sachstandsbericht
Petermann, T.; Sauter, A.
1999. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103306VolltextVolltext der Publikation als PDF-Dokument
Xenotransplantation. Summary
Petermann, T.; Sauter, A.
1999. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137712VolltextVolltext der Publikation als PDF-Dokument