reagenzgläser, pharmakogenetik

Pharmakogenetik.
Monitoring »Gendiagnostik/Gentherapie«

  • Projektteam:

    Leonhard Hennen (Projektleitung), Arnold Sauter

  • Themenfeld:

    Biotechnologie und Gesundheit

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    Monitoring

  • Starttermin:

    2004

  • Endtermin:

    2005

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An Pharmakogenetik und Pharmakogenomik – die wissenschaftliche Untersuchung von genetisch bedingten Unterschieden bei der Arzneimittelwirkung bzw. die Nutzbarmachung dieser genetischen Unterschiede zur Produktion hochspezifischer Medikamente oder zur Reduktion von Nebenwirkungen – sind von Seiten der pharmazeutischen Industrie in den letzten Jahren recht große Erwartungen geknüpft worden. Man ging von erheblichen ökonomischen Potenzialen der Pharmakogenetik aus, sowohl mit Blick auf die Vision hochspezifischer Medikamente für kleine Patientenkollektive als auch bezüglich möglicher Verbesserungen der »herkömmlichen« Medikamentenentwicklung. Gleichzeitig wurden gewichtige Zweifel laut, ob »pharmakogenetische« Medikamente überhaupt in die Behandlungsschemata der bisherigen Medizin passen werden.

Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Durch den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung wurde das TAB beauftragt, im Rahmen des Monitoring »Gendiagnostik/Gentherapie« ein Hintergrundpapier zum aktuellen Stand der Diskussion der wissenschaftlichen Entwicklungs- und Anwendungsperspektiven, zu den möglichen Chancen und Problemen sowie zu einem eventuellen Bedarf an einer vertiefenden TA-Untersuchung zu erstellen. Hierzu wurde eine synoptische Untersuchung wesentlicher Studien sowie eine Aktualisierung und Ergänzung mittels Expertengesprächen bei Prof. Dr. Regine Kollek, Hamburg, in Auftrag gegeben. In die synoptische Auswertung wurden folgende Studien einbezogen:

  • Health Council of the Netherlands: Pharmacogenetics. Report to the Minister of Health, Welfare and Sport, 2000
  • Nuffield Council on Bioethics: Pharmacogenetics: Ethical Issues. 2003
  • Department of Public Health and Primary Care, University of Cambridge: My Very Own Medicine: What Must I Know? Information Policy for Pharmacogenetics, 2003
  • Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt, Universität Hamburg: Pharmakogenetik – Implikationen für Patienten und Gesundheitswesen. Anspruch und Wirklichkeit der »individualisierten Medizin«, 2004
  • Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung – TA-Swiss: Pharmakogenetik und Pharmakogenomik. 2004
  • Group of Experts, invited by the Directorate-General of the European Commission: Ethical, legal and social aspects of genetic testing: research, development and clinical applications. 2004
  • European Society for Human Genetics/Institute for Prospective Technological Studies: Polymorphic sequence variants in medicine: Technical, social, legal and ethical issues. Pharmacogenetics as an example, 2004
  • European Society for Human Genetics/Institute for Prospective Technological Studies/European Platform for Patients Organisations, Science and Industry: Pharmacogenetics: Technical, Social, Legal and Ethical Issues. ESHG/IPTS-Workshop 2004

Ergebnisse

Der synoptische Vergleich zeigt zwar eine Vielzahl recht unterschiedlicher Einschätzungen und Bewertungen, vor allem hinsichtlich der möglichen zukünftigen Bedeutung des neuen Ansatzes in der Arzneimittelentwicklung für die medizinische Praxis, in vielen Fragen aber auch eine weitgehende Übereinstimmung, insbesondere zum derzeitigen Stand von Forschung und Entwicklung.

Mögliche Nutzenperspektiven ergeben sich aus der pharmakogenetischen Untersuchung und Vorhersage von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) durch

  • die Vermeidung dieser UAW durch Dosisanpassung oder Wahl einer Alternative,
  • eine Vergrößerung die Zahl der Arzneimittelkandidaten (bei zukünftigen Entwicklungen),
  • eine Reduzierung der Teilnehmerzahl bei klinischen Prüfungen sowie
  • eine »Rettung« (in der Vergangenheit) durchgefallener Arzneimittel(kandidaten).

Die in die Synopse einbezogenen Studien sind sich in der Einschätzung einig, dass bislang nur sehr wenige pharmakogenetische Tests vor der klinischen Anwendung bzw. Marktreife stehen. Obwohl eine Vielzahl von Genen als möglicherweise bedeutsam für die Medikamentenentwicklung diskutiert wird, wurde deren klinische Bedeutung bislang nur in wenigen Fällen nachgewiesen. Ausschlaggebend dafür ist – und darauf weisen die Studien einhellig hin –, dass Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten nicht nur durch genetische, sondern auch durch andere Faktoren beeinflusst werden. Während einige Berichte der Pharmakogenetik dennoch ein relativ großes Potenzial zusprechen, sind andere sehr viel skeptischer: Ihrer Auffassung nach ist die Reaktion auf Arzneimittel zumeist so komplex, dass auch in Zukunft nur vereinzelt mit einem Nachweis des klinischen Nutzens prätherapeutisch eingesetzter pharmakogenetischer Tests zu rechnen ist.

Die Aussagen der Studien zur zukünftigen Bedeutung der Pharmakogenetik in der medizinischen Praxis wie auch zu den möglichen Effekten auf die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen bleiben aufgrund der Tatsache, dass die Pharmakogenetik allenfalls gerade beginnt, in die medizinische Praxis Einzug zu halten, recht spekulativ und auch widersprüchlich. Erwartet wird allgemein, dass sich im Falle einer weitgehenden Nutzung pharmakogenetischer Arzneimittel und Diagnostika erhebliche Anforderungen an die Qualifikation des medizinischen Personals ergeben werden. Bezüglich der Auswirkungen auf die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen lässt sich aus den untersuchten Studien keine eindeutige Aussage ziehen, da derzeit schwer einzuschätzen ist, in welchem Umfang eine Reduktion unerwünschter Arzneimittelwirkungen durch Pharmakogenetik möglich ist.

Recht eindeutig beantwortet werden können allerdings zwei Fragen, die bei der Beauftragung des TAB von besonderem Interesse waren, nämlich zum einen die nach den rechtlichen Regelungsoptionen sowie zum anderen die Frage nach möglichem weiterem TA-Untersuchungsbedarf. Rechtlicher Handlungsbedarf wird in allen Studien nicht für die Zulassung pharmakogenetischer Medikamente, wohl aber hinsichtlich der Zulassung und Qualitätssicherung bei den gleichzeitig einzuführenden pharmakogenetischen diagnostischen Tests gesehen. Insgesamt plädieren die Studien für Regelungen entsprechend denen für sonstige – etwa im Rahmen humangenetischer Beratung und Pränataldiagnostik genutzte – Gentests. Bezüglich etwaigen zusätzlichen Bedarfs an TA-Untersuchungen kann festgehalten werden, dass neue Erkenntnisse grundsätzlicher Art derzeit nicht zu erwarten sind. Das, was sich auf dem Stand der derzeitigen Entwicklung der Pharmakogenetik seriös über Entwicklungsperspektiven und erwartbare Probleme sagen lässt, ist in den vorliegenden Studien niedergelegt. Bestehende Wissenslücken zu schließen – etwa zu der Frage, in welchem Umfang Pharmakogenetik in der Lage sein kann, das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen signifikant zu verringern – bleibt weiterer pharmakogenetischer Forschung bzw. speziellen, an einzelnen Medikamenten oder Tests ansetzenden Health-Technology-Assessment-Studien vorbehalten.

Publikationen


Alle Berichte aus dem Monitoring »Gendiagnostik/Gentherapie«