Kernfusion

  • Projektteam:

    Armin Grunwald (Projektleitung), Reinhard Grünwald, Dagmar Oertel, Herbert Paschen

  • Themenfeld:

    Energie und Umwelt

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    TA-Projekt

  • Starttermin:

    1999

  • Endtermin:

    2001

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Die Entwicklung der Fusionstechnologie als Energiequelle stellt ein historisch einzigartiges Unterfangen dar. Zwischen der Entdeckung ihrer physikalischen Funktionsmechanismen und der möglichen Verfügbarkeit kommerziell nutzbarer Kraftwerke wird voraussichtlich ein ungewöhnlich langer Zeitraum von etwa 100 Jahren intensiver Forschung und Entwicklung liegen. Ob die Fusionsforschung sich gegenwärtig noch eher im Stadium der Grundlagenforschung oder bereits im Stadium der Entwicklung einer Energietechnologie befindet, lässt sich daher nicht klar sagen.

Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung

Auf eine Anregung aus dem Kreis der parlamentarischen Berichterstatter für Technikfolgenabschätzung untersuchte das TAB den Stand der Entwicklung der Kernfusion und ihre Perspektiven als zukünftige Energiequelle.

Ergebnisse

Fusionsexperimente weisen zunehmend große räumliche Ausmaße und eine hohe technische Komplexität auf, die einen erheblichen finanziellen Aufwand bedingen. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen besteht eine besonders intensive und stabile internationale Zusammenarbeit. Der hohe Ressourceneinsatz und die sehr lange Zeitspanne bis zu einer möglichen Realisierung mit den dadurch verursachten außerordentlich großen Unsicherheiten der Beurteilung führen zu einer erheblichen Komplexität der anstehenden Entscheidungen.

Die Community der Fusionsforscher ist der Ansicht, dass das reaktororientierte Forschungsprogramm fortgeführt werden sollte, um über zwei Zwischenschritte, ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) und DEMO (Demonstration Fusion Powerplant), den Bau eines ersten kommerziellen Fusionsreaktors für etwa das Jahr 2050 vorzubereiten. Bei ITER, über den weitreichende Entscheidungen anstehen, handelt es sich um ein partnerschaftliches Unternehmen der Europäischen Union, Japans und Russlands unter Beteiligung weiterer Staaten. Parallel zu ITER ist der Bau einer speziellen hochintensiven Fusionsneutronenquelle erforderlich, um niedrig aktivierbare Materialien zu entwickeln und zu testen. DEMO soll die technische Machbarkeit eines Fusionskraftwerks beweisen und erstmals elektrischen Strom im Dauerbetrieb erzeugen.

Um dieses Programm zu realisieren, sind ganz erhebliche wissenschaftlich-technische Herausforderungen zu bewältigen. Der hierfür notwendige Forschungs- und Entwicklungsprozess wird sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken und den Einsatz von Fördermitteln in großem Maßstab erfordern. In der fast 50-jährigen Geschichte der Fusionsforschung wurden die Schwierigkeiten für die Entwicklung eines Fusionskraftwerkes unterschätzt, so dass der Realisierungshorizont weiter in die Zukunft gerückt werden musste und quasi zu einem "Moving Target" wurde.

Die Kernfusion stellt auch für Technikfolgenabschätzung eine besondere Herausforderung dar. Prognosen über Technikfolgen der Fusion in mehr als 50 Jahren sind außerordentlich schwierig und bedürfen einer sorgfältigen Interpretation. Sie sind in der Regel nicht mehr als heuristische Anhaltspunkte, welche Hinweise geben können, worauf im weiteren Entwicklungsprozess der Fusion besonders zu achten ist. Methodisch erschwert wird die Beurteilung dadurch, dass die Qualität der von der Fusionsforschung angegebenen Zahlen angesichts von möglicherweise darin enthaltenen Wunschvorstellungen und der Unmöglichkeit, "unabhängigen" Know-how zu finden, nur sehr schwierig zu beurteilen ist.

Was kostet die Fusionsforschung?

In den letzten 30 Jahren wurden erhebliche öffentliche Mittel in die Förderung der Plasmaforschung investiert. In der Europäischen Union wurden bis Ende der neunziger Jahre nahezu 10 Milliarden Euro für die Fusionsforschung aufgewendet. In Deutschland wurden in den letzten Jahren im Mittel etwa jährlich  130 Millionen Euro aus Bundesmitteln in die Fusionsforschung investiert. Zum Vergleich: Die FuE-Aufwendungen des Bundes für Erneuerbare Energien und rationelle Energieverwendung betrugen im Jahr 2000 153 Mio. Euro. Bis zur möglichen Realisierung der Stromerzeugung durch Kernfusion müsste nach heutiger Schätzung die Forschung und Entwicklung noch einmal über 50 Jahre in einem Umfang von insgesamt etwa 60-80 Milliarden Euro - davon innerhalb der EU 20-30 Milliarden Euro - gefördert werden. ITER wurde von zunächst 7 auf 3,5 Milliarden Euro redimensioniert, die sich voraussichtlich über zehn Jahre verteilen werden. Über die Durchführung von ITER, den eventuellen Standort und die Verteilung dieser Summe auf die beteiligten Länder ist im nächsten Jahr zu entscheiden.

Brauchen wir Kernfusion?

Die Argumente für die Nutzung von Fusionsenergie sind im Wesentlichen von Vorsorgeüberlegungen bestimmt: einerseits zur langfristigen Absicherung gegenüber Energieknappheit angesichts der Erschöpfung der fossilen Energieträger und andererseits zur Begrenzung der Klimaveränderung durch die Vermeidung von Treibhausgasemissionen. Ausgangspunkt ist die - noch unbewiesene - Annahme, dass ab Mitte des 21. Jahrhunderts Fusionskraftwerke kommerziell verfügbar wären.

Alle globalen Energieszenarien gehen von einem weiter steigenden Energiebedarf aus. Danach wird der weltweite Bedarf an Primärenergie bis zum Jahr 2050 auf das Zwei- bis Dreifache des Wertes von 1990 zunehmen. Mit Energiesparmaßnahmen kann diese Entwicklung höchstens gebremst werden. Klimaschutzaspekte erfordern vielmehr langfristig einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger. Dies ist auch sinnvoll aus der Nachhaltigkeitsperspektive, weil die begrenzten fossilen Ressourcen dann für andere Nutzungen erhalten blieben.

Mitte des 21. Jahrhunderts werden voraussichtlich überwiegend die gleichen Energieträger wie heute eine Rolle bei der Energieversorgung spielen, wenn auch in anderer Zusammensetzung. Die durch die Verknappung der fossilen Energieträger und den steigenden Weltenergiebedarf entstehende Lücke in der Energieversorgung wird in vielen Energieszenarien im Wesentlichen durch regenerative Energieträger geschlossen. Nicht ableitbar aus diesen Szenarien ist, inwieweit der geplante progressive Ausbau der Erschließung und Nutzung regenerativer Energiequellen, kombiniert mit der Ausschöpfung vorhandener Energieeinsparpotenziale, in der Praxis bis zum Jahre 2050 auch greift. Offen bleibt auch, inwieweit Versorgungsengpässe fossiler Energieträger hierbei eine Rolle spielen werden.

Regenerative Energieträger und Kernfusion werden für 2050 daher oft in einer gewissen Konkurrenz zueinander diskutiert. Gemeinsam ist beiden Optionen eine CO2-freie Umwandlung von Energie und ihre Zuordnung zu den sog. "Zukunftstechnologien", so dass sie prinzipiell Bausteine für eine von fossilen Energieträgern unabhängige Energieversorgung darstellen. Es ist durchaus eine Koexistenz beider Optionen der Energiebereitstellung denkbar, etwa aus Klimaschutzgründen oder aus Sicht einer angestrebten Versorgungssicherheit mit einer entsprechend verfügbaren Technologievielfalt. Auch im Hinblick auf die Art der Anlagen liegt vielfach eine Komplementarität vor: Fusionskraftwerke wären als zentrale großtechnische Anlagen vor allem zur Sicherung der Grundlast in urbanen Regionen geeignet. Sie würden sich z.B. gut in die künftigen Versorgungsinfrastrukturen der zurzeit auf Steinkohle setzenden Länder (z.B. China, Indien) einpassen. Regenerative Energieträger hingegen werden eher in dezentralen kleineren Einheiten realisiert.

Ein erheblicher Vorteil der Energiegewinnung durch Kernfusion liegt, wie gesagt, darin, dass beim Fusionsprozess keine klimaschädigenden Treibhausgase entstehen. Eine funktionierende Fusionstechnologie wäre daher geeignet, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts einen Beitrag zur Vermeidung von Klimaveränderungen zu leisten. Sie kann hierzu allerdings nicht kurz- oder mittelfristig beitragen. Höhe und Umsetzungsgrad von Umwelt- und Klimaschutzzielen üben dabei einen signifikanten Einfluss auch auf die Struktur der Energieversorgung im Jahre 2050 aus: Werden diese Ziele vergleichsweise hoch gewichtet, müssten Fusionskraftwerke in einem Umfeld positioniert werden, welches wahrscheinlich durch die intensive Nutzung erneuerbarer Energieträger und einen geringer ausfallenden Energiebedarf gekennzeichnet ist. Dann würden zum Energiemanagement eher schnell regelbare Kraftwerke benötigt. Fusionskraftwerke - eher auf einen gleichmäßigen Dauerbetrieb ausgelegt - würden diese Funktion kaum erfüllen können. Bei vergleichsweise geringer Gewichtung dieser Ziele würde sich eher ein Bedarf an preisgünstigen (neuen) Energiequellen bei wachsender Energienachfrage einstellen. Mit CO2-frei erzeugtem Kernfusionsstrom wären dann zwar zusätzlich große Energiemengen bereitstellbar, allerdings wäre dieser nach heutigem Erkenntnisstand nicht konkurrenzfähig.

Momentan zeichnet sich keine klare technische Entwicklungslinie ab, welche Energieumwandlungstechnik(en) in 50 Jahren eine dominierende Rolle spielen wird (werden) (z.B. Brennstoffzelle, Wasserstofftechnologie oder Kernfusion). Kernfusion stellt eine unter zahlreichen Optionen für die künftige Energieversorgung dar, deren Nutzung einer zusätzlichen Möglichkeit entspricht, Grundlaststrom zu erzeugen, und die sich eher für die Versorgung von stark urbanisierten Regionen eignet. Entscheidend für eine weitere Verfolgung der Option Kernfusion ist nicht deren immenses quantitatives Potenzial der Energiebereitstellung, sondern die gewählte Strategie zur Energieversorgung im Jahre 2050. Kernfusion kommt vor allem als Vorsorgeoption für eine fernere Zukunft, in der Reserven und Ressourcen fossiler Energieträger weitgehend erschöpft sind, in Betracht. Sie könnte zu einem Energiemix beitragen, der robust gegenüber unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ist.

Ist Kernfusion sicher?

Fusionsreaktoren sollen inhärent sicher sein. Ein wesentlicher Unterschied zu Spaltungsreaktoren besteht darin, dass unkontrollierte nukleare Kettenreaktionen in Fusionskraftwerken naturgesetzlich ausgeschlossen sind. Katastrophale Unfallszenarien sind dennoch nicht auszuschließen. Welche Art von Unfällen mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten könnten und in welchem Umfang das radioaktive Inventar in diesem Fall freigesetzt werden könnte, ist umstritten, weil dabei Annahmen zum Reaktordesign gemacht werden müssen. Dass das Ziel der inhärenten Sicherheit erreicht werden kann, ist zurzeit weder eindeutig bewiesen noch klar widerlegt, sondern hängt von den Ergebnissen einer noch über Jahrzehnte zu leistenden Forschungs- und Entwicklungsarbeit ab.

Bei der Zerstörung eines Fusionskraftwerks durch kriegerische Ereignisse oder Terrorismus würde voraussichtlich ein erheblicher Teil des radio- und chemotoxischen Inventars freigesetzt. Wird angenommen, dass der leicht mobilisierbare Tritiumanteil in einem Fusionskraftwerk durch gewaltsame Einwirkung vollständig freigesetzt wird, wären Evakuierungen der Bevölkerung auf einigen Quadratkilometern Fläche erforderlich.

Tritium ist von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Kernwaffenarsenale, weil es in verschiedenen fortgeschrittenen Kernwaffendesigns eingesetzt wird. Es hat aber auch Bedeutung für die Weiterverbreitung von Kernwaffen. Tritium stellt daher ein wesentliches Proliferationsrisiko beim Betrieb von Fusionsreaktoren dar. Das Risiko der Erbrütung waffenfähiger spaltbarer Materialien ist jedoch insgesamt bei einem reinen Fusionsreaktor eher niedriger als bei einem Spaltreaktor.

Ist Strom aus Kernfusion wirtschaftlich?

Die Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Fusionsstrom gegenüber konkurrierenden Energieträgern und die Nennung von Stromgestehungskosten sind höchst spekulativ. Alleine die Geschwindigkeit des technologischen Fortschrittes und die Kostenentwicklung bei konkurrierenden, z.B. regenerativen Energiesystemen, die von immenser Bedeutung für deren Konkurrenzfähigkeit ist, entziehen sich der langfristigen Vorhersagbarkeit. Als sicher gilt, dass die Investitionen gegenüber den Betriebskosten die Stromgestehungskosten dominieren werden. Für eine Anlage mit 1.000 MWe werden fünf bis sechs Milliarden Euro angegeben. Fusionskraftwerke werden damit sehr kapitalintensive Großprojekte sein. Sie werden sich daher hauptsächlich für die zentralisierte Stromerzeugung in der Grundlast eignen. Selbst die Befürworter der Kernfusion gehen davon aus, dass die Stromgestehungskosten aus heutiger Sicht eher höher als bei konkurrierenden Technologien liegen werden.

Wenn der gegenwärtige weltweite Trend zur Liberalisierung der Energiemärkte anhält, wäre die hohe Kapitalintensität ein gewichtiger Nachteil für Fusionskraftwerke, da lange Kapitalbindungen in einem liberalisierten Umfeld nicht vorteilhaft sind. Dazu kommt, dass Fusionskraftwerke am Anfang mit zumindest teilweise bereits abgeschriebenen Reaktoren, die zu Grenzkosten produzieren können, zu konkurrieren hätten. Energieversorgungsunternehmen werden Fusionskraftwerke nur dann annehmen, wenn sie einen eindeutigen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber etablierten Technologien erwarten lassen einschließlich eines Risikoaufschlages wegen der noch unbekannten Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit einer jungen Technologie. Insgesamt ist daher umstritten, ob auf DEMO bereits Fusionskraftwerke folgen können, die wirtschaftlich konkurrenzfähig betrieben werden können. Möglicherweise werden Anfangsschwierigkeiten eine weitere staatliche Unterstützung erforderlich machen. Die hohe Kapitalintensität von Fusionskraftwerken wäre insbesondere für den Einsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern ein bedeutendes Hindernis.

Ist Strom aus Kernfusion umweltfreundlich?

Die gesellschaftliche Akzeptanz der Fusionstechnologie wird in hohem Maße davon abhängen, dass Umweltkriterien zum Zeitpunkt der Technologieentscheidungen angemessen berücksichtigt werden. Ein erheblicher Umweltvorteil der Fusionstechnologie liegt darin, dass beim Betrieb keine klimaschädigenden Treibhausgase entstehen.

Auf der anderen Seite stellen die in den Reaktoren erzeugten radioaktiven Abfälle sicherlich das radiologische Hauptproblem bei der Kernfusion dar. Wie diese zu bewerten sein werden, hängt vom Erreichen anspruchsvoller Ziele bei der Weiterentwicklung der Technologie und der verwendeten Materialien in den nächsten Jahrzehnten ab. Das zweite wesentliche radiologische Risiko ist der Brennstoff Tritium. Auf Grund seiner besonderen Eigenschaften ist der Umgang mit diesem Stoff nicht unproblematisch. Tritium ist sehr mobil und daher im Fall einer Freisetzung schwer beherrschbar. Für den Tritium-Einsatz in Fusionskraftwerken sind noch zahlreiche Fragen zu klären und technische Fortschritte in der Verfahrenstechnik erforderlich (Tritiumanalytik, Verfahren zur Dekontamination tritiumhaltiger Oberflächen und Kühlwasser).

Die Ressourcensituation ist im Wesentlichen unproblematisch. Die heute bevorzugten Fusionsbrennstoffe, Deuterium und Tritium, das aus Lithium gewonnen wird, sind weltweit in großen Mengen vorhanden. Deuterium kann durch Elektrolyse aus Meerwasser extrahiert werden. Die entsprechenden Techniken sind bereits in größerem Maßstab erprobt. Tritium kommt in der Natur nur in geringsten Mengen vor und wird daher mit Hilfe von Neutronenstrahlung aus Lithium gewonnen, wobei zusätzlich Helium entsteht. Da die Fusionsenergie im Brennstoff in hoher Dichte gespeichert ist, sind kaum Transporte erforderlich. Die Mengen an Deuterium und Lithium, die jährlich für ein 1.000 MWe-Fusionskraftwerk benötigt würden, könnten in einem einzigen Lastwagen angeliefert werden. Dabei werden keine radioaktiven Substanzen transportiert.

Ist Kernfusion sozial nachhaltig?

Durch Erschließung einer praktisch unerschöpflichen Energiequelle und die universelle Verfügbarkeit ihrer Brennstoffe ist Kernfusion geeignet, soziale Konflikte um Ressourcen zu vermeiden. Zudem trägt die ausgeprägte grenzüberschreitende Kooperation bei der Fusionsforschung zur internationalen Verständigung bei.

Dagegen lösen Großprojekte tendenziell in der Öffentlichkeit eher Skepsis aus. Fusionskraftwerke könnten auch deswegen auf Akzeptanzprobleme stoßen, weil sie ein wesentliches radioaktives Inventar enthalten und Endlager für radioaktive Abfälle erforderlich machen.

Die Energiegewinnung durch Kernfusion wird nur dann Akzeptanz in der Bevölkerung erlangen, wenn sie den Bedürfnissen und Anliegen der Gesellschaft entspricht. Reine Informations- oder Werbemaßnahmen für Zwecke der Akzeptanzbeschaffung haben sich im Wesentlichen als ungeeignet erwiesen. Zur Vermeidung von Akzeptanz- und Vertrauenskrisen ist ein frühzeitiger intensiver und ergebnisoffener Dialog zwischen Wissenschaft, Interessengruppen und der Öffentlichkeit erforderlich.

Was tun?

Trotz der Wissensdefizite und der Bewertungsprobleme in diesem speziellen Fall besteht kein Grund, die Entwicklung der Fusionsenergie sich selbst zu überlassen. Zwar ist in vielen Fragen heute nicht verlässlich zu beurteilen, ob und inwieweit die Fusionsenergie den vielen Facetten des Nachhaltigkeitspostulates entspricht. Es ist aber möglich, bereits gegenwärtig entsprechende Anforderungen zu formulieren und die Bedingungen zu erkennen, unter denen Fusionsentwicklung diesen Postulaten entsprechen kann. Dann wiederum kann über Gestaltungspotentiale der Fusion aus gesellschaftlicher Sicht nachgedacht werden: Durch welche steuernden Eingriffe kann die Entwicklung so beeinflusst werden, dass diese Bedingungen realisiert werden? Es sind aus dieser Sicht folgende generelle Handlungsoptionen der Forschungspolitik möglich. Der Sinn der Optionen ist es, den gesamten Möglichkeitsraum für politische Gestaltung aufzuspannen. Die konkrete Positionierung in diesem Möglichkeitsraum ist der politischen Bewertung und Entscheidung vorbehalten.

Option "Kontinuierliche Fortsetzung": Weitere intensive Forschung mit den bestehenden, im Wesentlichen den Vorstellungen der Fusionsforschungs-Community folgenden Schwerpunkten. Diese Option würde der Eigendynamik des Forschungsfeldes folgen.

Option "Gründliche Evaluation": Umfassende Evaluation des Themenfeldes Kernfusion unter Einbeziehung von externem Sachverstand, mit Kriterien nachhaltiger Energieversorgung als Leitlinie. Daraus resultierende Gestaltungsanforderungen könnten in die weitere Technologieentwicklung integriert werden. Hier würde die Eigendynamik möglicherweise aufgebrochen, bis hin zur Formulierung von Umsteuerungs- oder Abbruchkriterien, falls es bei dem Phänomen des "Moving Target" bleibt.

Option "Neuausrichtung": Ausrichtung auf die schnellstmögliche Entwicklung der Kernfusion als Energietechnologie auf dem TOKAMAK-Pfad aktiv beenden und auf ein Forschungsprogramm mit dem Fokus eines breiter angelegten Verständnisses der wissenschaftlichen Grundlagen und alternativer Einschlusskonzepte zurückführen. Hiermit würde ein Abbruch der Eigendynamik des Forschungsbereiches forciert.

Zentrale Herausforderung bleibt, unabhängigen Sachverstand aufzubauen und einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zu organisieren. Dies ist, angesichts der Schwierigkeit, dass eine direkte Betroffenheit in der Gesellschaft aufgrund der zeitlichen Ferne und der Lebensweltferne der Fusion kaum festzustellen ist, keine einfache Aufgabe.

Publikationen


Kernfusion. Sachstandsbericht
Grunwald, A.; Grünwald, R.; Oertel, D.; Paschen, H.
2002. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000102229VolltextVolltext der Publikation als PDF-Dokument
Thermonuclear fusion. Summary
Grunwald, A.; Grünwald, R.; Oertel, D.; Paschen, H.
2002. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137651VolltextVolltext der Publikation als PDF-Dokument
Monitoring “Kernfusion”
Grünwald, R.; Oertel, D.
2002. Technikfolgenabschätzung, Theorie und Praxis, 11 (3-4), 126–130. doi:10.14512/tatup.11.3-4.126