Möglichkeiten und Probleme bei der Verfolgung und Sicherung nationaler und EG-weiter Umweltschutzziele im Rahmen der Europäischen Normung

  • Projektteam:

    Juliane Jörissen (Projektleitung)

  • Themenfeld:

    Energie und Umwelt

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

  • Analyseansatz:

    TA-Projekt

  • Starttermin:

    1994

  • Endtermin:

    1996

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Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung

National unterschiedliche Anforderungen an Produkte stellen technische Handelhemmnisse dar, die den freien Waren- und Güterverkehr in Europa behindern. Die Vereinheitlichung der Produktanforderungen ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Vollendung des Binnenmarkts. Nachdem sich die ursprünglich gewählte Methode der Rechtsangleichung durch Detailregelungen auf Gesetzesebene als nicht praktikabel erwies, entschloß sich die EU mit der Einführung der sog. »Neuen Konzeption« im Jahr 1985, einen alternativen Weg der Harmonisierung zu beschreiten, der in erster Linie auf Selbstregulierung der Wirtschaft setzt. Dabei beschränkt sich der europäische Gesetzgeber auf die Fixierung der allgemeinen Sicherheitsanforderungen an Produkte und verweist zu deren Ausfüllung auf technische Normen, die von den Europäischen Normungsgremien CEN/CENELEC weitgehend in eigener Verantwortung erarbeitetet werden. Ist ein Produkt nach diesen Normen hergestellt, spricht eine "widerlegbare Vermutung" dafür, daß auch die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind.

Zwangsläufig muß die zunehmende Übertragung von Entscheidungs-kompetenzen auf die europäische Ebene mit einem Verzicht der nationalen Gesetzgeber auf die Festlegung eigener Güte-, Sicherheits- und Umweltstandards einhergehen. Im Kontext der neuen Harmonisierungskonzeption wirkt eine solcher Verzicht jedoch um so schwerer, als die Präzisierung der An-forderungen zum Schutz wichtiger Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit um Umwelt weitgehend in das Ermessen privater Verbände gestellt wird. Diese problematische Verlagerung staatlicher Regelsetzung in den privaten Bereich wirft europarechtliche, verfassungsrechtliche und umweltpolitische Fragen auf, die den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit veranlaßten, das TAB mit der Durchführung einer TA-Studie zu diesem Problemkreis zu be-auftragen. Primäres Ziel der Studie war es, Vorstellungen zu entwickeln, wie die europäische Normung besser als bisher als Instrument einer ökologischen Produktpolitik genutzt und die demokratische Legitimation der Normen erhöht werden kann, ohne ihre Effizienz für die Wirtschaftsharmonisierung in Europa einzuschränken.

Stand der Arbeiten

Das Projekt ist mit der Vorlage des Endberichtes im September 1996 abgeschlossen worden; der Bericht wurde im Oktober 1996 vom Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung abgenommen

Ergebnisse

Wenn die harmonisierten Normen öffentlichen Belangen wie Umweltschutz, Energieeinsparung und Ressourcenschutz nicht angemessen Rechnung tragen, geben sie den Mitgliedstaaten Anlaß, die Vermarktung normkonformer Produkte zu behindern. Die Realisierung des im Vertrag von Maastricht verankerten hohen Schutzniveaus muß daher im eigenen Interesse der Gemeinschaft und der euro-päischen Normungsgremien liegen. Daß sich letztere ihrer Verpflichtung für den Umweltschutz bewußt sind, zeigen die verschiedenen Bemühungen der letzten Jahre, die institutionell-organisatorischen Voraussetzungen für eine systematische Berücksichtigung von Umweltaspekten in der produktbezogenen Normung zu verbessern. Ob dies jedoch ausreicht, um langfristig ein hohes Umweltschutzniveau in der Produktnormung zu garantieren, bleibt fraglich, insbesondere, wenn die Forderung nach Erhöhung der Umweltverträglichkeit von Produkten in Konflikt gerät mit der Forderung nach Steigerung der Effizienz bei der Vollendung des Binnenmarktes und Beschleunigung der Normungstätigkeit.

Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus in der produktbezogenen Normung

Der sicherste Weg, den Ermessensspielraum der Normungsgremien einzuengen und sicherzustellen, daß sich die durchaus anspruchsvollen Ziele des EG-Vertrages auch in der konkreten Produktpolitik niederschlagen, wäre eine möglichst detaillierte Formulierung der wesentlichen Anforderungen durch den europäischen Gesetzgeber. In Anbetracht der Breite des Produktspektrums vieler Richtlinien stößt dies jedoch auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Vorgeschlagen wird daher u.a. eine Präzisierung der Vorgaben in den Normungsmandaten sowie die Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für Normen. Angeregt wird weiterhin, zur Konkretisierung des »hohen Schutzniveaus« allgemeine Kriterien einer ökologischen Produktgestaltung (Rohstoff- und Energieeinsatz, Wasserverbrauch, Emissionen, Lebensdauer, Recyclingfähigkeit, Abfallanfall etc.) in einer EG-Verordnung festzulegen.

Insgesamt zeigen die Vorschläge, daß dem Versuch, die Durchsetzung von Umweltbelangen in der Normung durch eine Präzisierung der gesetzlichen Vorgaben zu verbessern, relativ enge Grenzen gesetzt sind. Wenn die Effizienz der Normung nicht gefährdet werden soll, muß den Normungsgremien ein hinreichender Freiraum für eigene Festlegungen verbleiben, um technische und funktionale Innovationen nicht zu behindern.

Reform des Normungsverfahrens

Je unzureichender sich die Möglichkeiten erweisen, durch materielle Anforderungen zu gewährleisten, daß die europäischen Normen das geforderte hohe Umweltschutzniveau einhalten, um so mehr rücken die prozeduralen Garantien, die auf einen ausgewogenen Prozeß der Normerstellung zielen, in den Vordergrund. Ein begrenzter Regelungsverzicht des Staates zugunsten privater Normungsorganisationen wird dann als vertretbar angesehen, wenn die Normen in einem geordneten, transparenten Verfahren unter repräsentativer Be-teiligung der interessierten Kreise und der Öffentlichkeit von sachverständigen Gremien ausgearbeitet werden. Sofern das Verfahren diesen Anforderungen ge-nügt, wird davon ausgegangen, daß sich die widerstreitenden Interessen gegen-seitig ausbalancieren und am Ende zu einer Lösung führen, die allen Belangen bestmöglich gerecht wird. Nach ganz überwiegender Auffassung bietet das europäische Normungsverfahren in seiner jetzigen Form dafür jedoch keine Gewähr.

Weitgehende Einigkeit besteht darüber, daß Umwelt- und andere diffuse Interessen heute nicht die gleichen Durchsetzungschancen im europäischen Normungsverfahren haben wie die Interessen der Wirtschaft. Dies vor allem, weil die Vertreter von Gemeinwohlbelangen die vorhandenen Mitwirkungsmöglichkeiten aufgrund ihrer sehr begrenzten personellen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen nicht optimal ausschöpfen können. Im Hinblick auf die Herstellung von »Chancengleichheit« wird daher eine Verbesserung der infrastrukturellen Voraussetzungen für die Mitwirkung sowohl von staatlichen Umweltschutzstellen als auch von Vertretern der Umweltverbände gefordert, wozu angemessene Aufwandsentschädigungen, Erstattung von Reisekosten, Bereitstellung von Mitteln für die Gewinnung externer Experten etc. gehören.

Um dem rechtstaatlichen Transparenzgebot zu genügen, werden vor allem die Bereitstellung frühzeitiger Information über die anstehenden Normungsvor-haben, nicht zu knapp bemessene Einspruchsfristen für die Öffentlichkeit sowie die Einführung einer Pflicht zur Begründung der Entscheidung gefordert. Dabei müßte sich die Begründungspflicht nach Auffassung der Gutachter des TAB jedoch nicht auf sämtliche Aspekte der technischen Standardisierung erstrecken, sondern vornehmlich auf die von den Normungsgremien vorgenommene Ab-wägung im Hinblick auf das zumutbare Umwelt- und Gesundheitsrisiko von Produkten. Wertende Entscheidungen der Normungsgremien sollten offengelegt und die Wertungsspielräume durch mindestens zwei begründete Alternativvorschläge deutlich gemacht werden. Schließlich müßte das Verfahren nach überwiegender Meinung in rechtsverbindlicher Weise durch eine Verordnung der EG geregelt werden.

Erhöhung der demokratischen Legitimation der Normen

Wenn der europäische Gesetzgeber nicht auf die Mitwirkung privater Verbände verzichten kann, muß er durch entsprechende Rahmenbedingungen sicherstellen, daß dieser kooperative Rechtsetzungsprozeß insgesamt demokratisch legitimiert ist. In dem Maße, in dem staatliche Regelungen zum Schutz der Bürger durch Normen verdrängt werden, müssen diese daher einer effektiven Kontrolle durch die Organe der EG unterworfen werden, um zu gewährleisten, daß die Ziele des EG-Vertrages und die Anforderungen der jeweiligen Richtlinie eingehalten werden. Dazu sind von den Gutachtern des TAB verschiedene Vorschläge unter-breitet worden, wie die Adoption der Normen durch die Kommission im Rahmen einer »Kreislauf-Gesetzgebung", die Entsendung eines stimmberechtigten Kommissionsvertreters in die Normungsgremien und die Einführung einer "Konformitätsprüfung« durch die Kommission.

Dennoch bleibt die Frage umstritten, wie eine solche Kontrolle ausgestaltet werden könnte, ohne die Kommission sachlich und personell zu überfordern und vor allem ohne die deregulative Grundidee der neuen Konzeption in Frage zu stellen. Die einzige Alternative zur Entschärfung des Delegationsproblems für den Fall, daß sich eine hoheitliche Kontrolle des Normungsgeschehens als undurchführbar erweisen sollte, wird darin gesehen, die Verbindlichkeit der Normen für die Produktharmonisierung zu reduzieren. Wenn die Normen auf den Status bloßer Empfehlungen privater Verbände zurückgeführt würden, stellte sich auch das Legitimationsproblem nicht und entfiele somit die Notwendigkeit einer staatlichen Kontrolle. Ob dies jedoch möglich wäre, ohne das Vertrauen der Hersteller in die harmonisierten Normen zu untergraben und dadurch das Integrationsziel zu gefährden, muß bezweifelt werden.

Einflußmöglichkeiten der nationalen Politik auf die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen der europäischen Normung

Eine aktive Umweltpolitik der Mitgliedstaaten, die das Ziel verfolgt, die europäische Normung verstärkt als Instrument des produktintegrierten Umweltschutzes zu nutzen, wird sowohl auf die Ausschöpfung der verbliebenen und immer enger werdenden nationalen Handlungsspielräume als auch maßgeblich auf die Mitgestaltung der europäischen Aktionsebene setzen müssen.

Sofern es in bezug auf eine konkrete Harmonisierungsrichtlinie nicht gelingt, unter Ausschöpfung der dargestellten Handlungsspielräume ein anspruchsvolles Umweltschutzniveau in der gemeinschaftlichen Regelung durchzusetzen, bleibt die Möglichkeit des nationalen Alleingangs. Schließlich könnte die Bundesrepublik Deutschland von dem sekundärrechtlichen Schutzklauselverfahren gezielt Gebrauch machen, wenn Bund und Länder der Ansicht sind, daß europäische technische Normen Umweltgesichtspunkte vernachlässigen oder unberücksichtigt lassen. Wie die Praxis zeigt, sind solche Einsprüche der Mitgliedstaaten in den meisten Fällen von der Kommission bestätigt worden.

Publikationen