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Beobachtungstechnologien im Bereich der zivilen Sicherheit – Möglichkeiten und Herausforderungen

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Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Im Bereich der zivilen Sicherheit erlangen Beobachtungstechnologien und ihre Anwendungsfelder zunehmende Bedeutung. Im Fokus der polizeilichen Beobachtung stehen in erster Linie der Mensch und seine Aktivitäten, wobei es vor allem darum geht, "auffälliges" Verhalten zu erkennen und zu dokumentieren. Einsatzbeispiele für Beobachtungstechnologien sind Metalldetektoren oder Körperscanner zur Personenkontrolle in sicherheitssensiblen Bereichen, Videokameras zur Beobachtung kriminalitätsgefährdeter Orte oder die verdeckte Erhebung von Inhalten oder Verbindungsdaten der elektronischen Kommunikation zum Beispiel im Rahmen der Terrorismusbekämpfung. Akteure der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr (Brandschutz und allgemeine Hilfe, Rettungsdienste, Katastrophenschutz) nutzen Beobachtungstechnologien – beispielsweise Luft- oder Satellitenaufnahmen – insbesondere für die Ereignisfeststellung, die Lageerkundung und das Lagemonitoring.

In Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik wird der Einsatz von Beobachtungstechnologien für zivile Sicherheitsaufgaben kontrovers diskutiert. Einerseits können Beobachtungstechnologien für den Staat (und seine Behörden) von Nutzen sein, um die Gewährleistung von Sicherheit zu ermöglichen. Andererseits wirft ihr Einsatz Fragen nach dem tatsächlichen Sicherheitsnutzen, dem Schutz der erhobenen Daten oder nach unerwünschten Wirkungen auf die Psyche und das Verhalten der beobachteten Personen auf. Im Fokus dieser Debatte stehen vor allem polizeiliche Einsatzpraktiken, die mit Eingriffen in individuelle Freiheitsrechte verbunden sein können.

Im Rahmen des Projekts wurden relevante gesellschaftliche und politische Fragestellungen, die sich mit dem Einsatz von Beobachtungstechnologien im zivilen Sicherheitsbereich ergeben, identifiziert und kritisch reflektiert. Für alle Anwendungsfelder wurde der aktuelle Kenntnisstand über

  • die wissenschaftlich-technischen Grundlagen der jeweiligen Beobachtungstechnologie in Abhängigkeit von den Einsatzanforderungen und -bedingungen,
  • den jeweils erwarteten und tatsächlichen Sicherheitsnutzen,
  • die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie
  • mögliche nichtintendierte Wirkungen und Folgen des Technologieeinsatzes auf die beobachteten Personen und die Sicherheitsakteure

erarbeitet. Dieses Wissen bildete die Grundlage zur Ableitung von Gestaltungsoptionen für einen zielführenden und gesellschaftlich tragfähigen Umgang mit Beobachtungstechnologien im Bereich der zivilen Sicherheit.

Zentrale Ergebnisse

Breites Anwendungsspektrum für Beobachtungstechnologien

Begünstigt durch die rasanten Entwicklungen in den Bereichen Sensorik, Informatik und Informationstechnik kommt bereits heute eine breite Palette an Beobachtungstechnologien in der zivilen Sicherheitspraxis zum Einsatz, und fortwährend kommen neue und erweiterte Anwendungsfelder hinzu. Der Nutzen für die Sicherheit und die Einsatznotwendigkeiten sind oftmals naheliegend, z. B. die Detektion gefährlicher und für den Menschen nicht wahrnehmbarer Substanzen, die Ortung von verschütteten Personen, die Anfertigung von Luftbildern von Katastrophengebieten, die Sichtbarmachung von kriminellen Strukturen oder die Beobachtung und Aufzeichnung von Straftaten.

Psychische und soziale Auswirkungen von technisierter Beobachtung sind unzureichend erforscht

Zu den unerwünschten Folgen des Einsatzes von Beobachtungstechnologien gehören mögliche Auswirkungen auf die Psyche und das Verhalten von Personen, die von der Beobachtung betroffen sind, dafür aber selbst keinen Anlass gegeben haben. Ein wissenschaftlicher Nachweis solcher Effekte ist jedoch schwierig, da das Phänomen der Beobachtung im gesellschaftlichen Kontext sehr komplex ist. Verhältnismäßig gut erforscht ist einzig die Videobeobachtung. Demnach kann die Anwesenheit von Videokameras zu einer gesteigerten und gegebenenfalls als unangenehm empfundenen Selbstaufmerksamkeit führen, ebenso sind Verhaltensmodifikationen in Form der Vermeidung beobachteter Räume möglich. Der gegenwärtige Forschungsstand legt jedoch auch nahe, diese Effekte nicht zu überschätzen.

Beobachtungspraktiken, die ohne Wissen der Betroffenen stattfinden, sind erst in der Folge der Snowden-Enthüllungen im Jahr 2013 ins Zentrum wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt. Erste Studien zeigen Anhaltspunkte für Verhaltensanpassungen oder Einschränkungen der eigenen Handlungen als Folge (heimlicher) staatlicher Beobachtung im Internet oder in der elektronischen Kommunikation. Fraglich bleibt allerdings, ob diese Befunde, die fast ausschließlich im Kontext der Beobachtungspraktiken durch (ausländische) Nachrichtendienste erzielt wurden, sich auch auf polizeiliche Beobachtungspraktiken (in Deutschland) übertragen lassen. Hierzu besteht aktuell noch großer Forschungsbedarf.

Unerwünschte Effekte auf Technologieanwender können Sicherheitsgewinne wieder schmälern

Mögliche Auswirkungen des Einsatzes von Beobachtungstechnologien auf die sie benutzenden Sicherheitsakteure und deren Institutionen sind bislang wissenschaftlich kaum erforscht worden und spielen auch in politischen und öffentlichen Diskursen eine nur untergeordnete Rolle. Dabei können unerwünschte Wirkungen auf die Technologieanwender das Ziel einer Steigerung von Sicherheit durch Technisierung unter Umständen konterkarieren.

Zum Beispiel wird Beobachtungstechnologien oft eine technische Überlegenheit gegenüber menschlichen Beobachtern attestiert, etwa der automatisierten Gesichtserkennung in Bezug auf die Schnelligkeit und Zuverlässigkeit bei der Erkennung gesuchter Personen. Verlieren Sicherheitsakteure aber das Bewusstsein für die Grenzen und Limitationen von Beobachtungstechnologien, kann dies dazu führen, dass technikbasierte Handlungsempfehlungen unreflektiert akzeptiert und von der Technologie nicht erkannte sicherheitsrelevante Situationen auch vom Menschen übersehen werden. Deutlich wird, dass bei Überlegungen und Entscheidungen über den (künftigen) Einsatz von Beobachtungstechnologien mögliche Auswirkungen auf die Sicherheitsakteure adäquat berücksichtigt werden müssen. Dazu ist das Wissen über solche Effekte zu erweitern.

Schwierige Balance von Sicherheit und Freiheit

Vor allem polizeiliche Beobachtungspraktiken berühren re­gelmäßig grundrechtlich geschützte Privatheitsgarantien. Oft entsteht daraus ein sensibles Spannungsverhältnis zwi­schen gesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnissen einerseits und individuellen Freiheitsrechten andererseits. Zur Klärung dieses Spannungsverhältnisses bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eines der zentralen Instrumente. Dieser verlangt, dass je­der staatliche Grundrechtseingriff einen legitimen Zweck mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgen muss.

Am Beispiel technisierter Beobachtung zeigt sich jedoch, dass die Prüfkriterien – zumindest nach bisheri­ger Anwendungspraxis – zum Teil zu vage sind, um über die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Beobachtungsmaßnah­men auch nach gesellschaftlichen Bewertungsmaßstäben entscheiden zu können. Zum Beispiel gilt ein Mittel im verfassungsrechtlichen Sinne als geeignet, sobald mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg potenziell bzw. zumindest in Ein­zelfällen erreicht werden kann. Diese Voraussetzung aber erfüllen polizeiliche Beobachtungsmaßnahmen quasi auto­matisch, sofern die technisch-funktionale Leistungsfähigkeit der jeweiligen Beobachtungstechnologie gegeben ist. Der prakti­sche Sicherheitsnutzen hängt aber nicht nur von technischen Kriterien, sondern von vielen weiteren Faktoren, wie zum Beispiel den jeweiligen sozialen Anwendungskontexten oder den Verhal­tensweisen der beobachteten Personen, ab. Notwendig erscheint eine »Erweite­rung« der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Möglichkeiten dazu werden im TAB-Bericht diskutiert.

Gestaltungsoptionen

Gestaltungsoptionen für einen zielführenden und gesellschaftlich tragfähigen Umgang mit Beobachtungstechnologien im zivilen Sicherheitsbereich bestehen 

  • für die Akteure in der Forschung und Entwicklung, welche die Beobachtungstechnologien bereitstellen (sowohl Forschungsförderung als auch Forschende),
  • für den Gesetzgeber, der im Vorfeld der Implementierung neuer grundrechtsrelevanter Beobachtungspraktiken die gesetzlichen Rahmenbedingungen schafft, sowie
  • für die Akteure der zivilen Sicherheit, die Beobachtungstechnologien operativ einsetzen, also insbesondere die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.

Die Akteure der Forschungsförderung verfügen durch die entsprechenden Förderstrukturen (u.a. das Rahmenprogramm »Forschung für die zivile Sicherheit« der Bundesregierung) über wesentliche Einflussmöglichkeiten, um Zielrichtungen und Prioritätensetzungen in der zivilen Sicherheitsforschung mitzubestimmen. Aktuell werden gemäß dem Ansatz der integrierten Forschung in der Regel interdisziplinäre Projektkonsortien gefördert, um gesellschaftswissenschaftliche Fragen bereits bei der Technikentwicklung miteinzubeziehen. Dies ist sinnvoll, weil so die Chancen auf einen erfolgreichen und gesellschaftlich akzeptablen Praxiseinsatz erhöht werden. Wichtige Forschungsdesiderate ergeben sich aus den im Projekt identifizierten Wissenslücken, zum Beispiel im Hinblick auf die Evaluation des tatsächlichen Sicherheitsnutzens, die psychischen und sozialen Auswirkungen technisierter Beobachtung oder in Bezug auf mögliche (potenziell negative) Effekte auf die Technologieanwender.

Dem Gesetzgeber obliegt es, Rahmenbedingungen für die Einführung neuer grundrechtsrelevanter Beobachtungspraktiken zu schaffen und dabei für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit zu sorgen. Hier bestehen Gestaltungsoptionen im Hinblick auf eine Erweiterung der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Um beispielsweise die Möglichkeiten für die Geeignetheitsprüfung für polizeiliche Beobachtungspraktiken zu verbessern, wären neben technisch-funktionalen Eignungskriterien zusätzliche Bewertungsmethoden zu entwickeln, die auf die jeweiligen konkreten Einsatzsituationen anwendbar sind und die es ermöglichen, technische, rechtliche, sozialwissenschaftliche und ethische Bewertungsdimensionen integriert zu betrachten. Weil sich die technischen und sozialen Rahmenbedingungen mit der Zeit verändern, erscheint es auch wichtig, die Verhältnismäßigkeit von polizeilichen Beobachtungspraktiken nicht nur einmalig während des Gesetzgebungsverfahrens, sondern regelmäßig (z. B. alle 10 Jahre) zu überprüfen.

Der Auftrag, technisierte Beobachtungspraktiken regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen, richtet sich auch an die Akteure der zivilen Sicherheit. In der täglichen Praxis bestehen die besten Voraussetzungen, um erwünschte und nichtintendierte Wirkungen des Technologieeinsatzes zu bewerten und die Frage zu klären, ob die aufgewendeten Mittel im Verhältnis zu den erlangten Erkenntnissen stehen. Weitere Gestaltungsoption bestehen in vertrauensbildenden und transparenzfördernden Maßnahmen. Vor allem verdeckt stattfindende polizeiliche Beobachtungsmaßnahmen können bei Bürgerinnen und Bürgern Sorgen auslösen, die zum Teil auf falschen Annahmen beruhen und somit unbegründet sind. Hier könnten spezielle Informationsangebote zur Aufklärung der Bevölkerung über die mit der Beobachtungsmaßnahme verfolgten Ziele, die rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen des Einsatzes, die Vorkehrungen zur Abmilderung von unerwünschten Wirkungen sowie über den Umfang der praktischen Anwendung beitragen, aus Wissensdefiziten gegebenenfalls resultierende Unsicherheitsgefühlen entgegenzuwirken. Grundsätzlich bilden Verständnis und Transparenz notwendige Voraussetzungen für eine informierte gesellschaftliche Verständigung über einen akzeptablen Einsatz von Beobachtungstechnologien im Bereich der zivilen Sicherheit sind.

Publikationen


Im Bundestag