Entwicklungstendenzen von Nahrungsmittelangebot und -nachfrage und ihre Folgen

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Heute steht den Verbrauchern eine Vielfalt von Nahrungsmitteln zur Verfügung wie nie zuvor. Gleichzeitig wird die Nahrungsmittelversorgung zunehmend komplexer, die Produktionsketten werden länger und die Verarbeitungsschritte vielfältiger. Damit sind neue Risiken verbunden, auch wird die Entfremdung der Konsumenten von der Nahrungsmittelproduktion immer größer.

Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Nachfrage und Angebot von Nahrungsmitteln unterliegen vielfältigen Veränderungsprozessen. Dazu gehören technologische Innovationen (z.B. die Anwendung gentechnologischer Verfahren), ökonomische Entwicklungen (z.B. zunehmende Unternehmenskonzentration) und sich verändernde Verbraucherwünsche (z.B. steigender Bedarf nach Vereinfachungen der Nahrungsmittelzubereitung im privaten Haushalt). Nahrungsmittel und Ernährung sind ein wichtiges gesellschaftliches Diskussionsfeld geworden.

Auf Vorschlag des damaligen Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sollten Entwicklungstendenzen bei Nahrungsmittelangebot und  nachfrage, deren strukturelle Voraussetzungen und Folgenpotenziale sowie der in diesem Zusammenhang bestehende politischen Handlungsbedarf untersucht werden.

Ergebnisse

Die folgende Darstellung von Ergebnissen aus den drei Teilbereichen Qualität, Regionalität und Verbraucherinformation konzentriert sich auf Gemeinsamkeiten, die sich aus den Analysen ergeben haben.

Konflikte und Konkurrenzsituationen

In allen drei Bereichen kommt es zwischen verschiedenen Dimensionen, Zielen und Konzepten zu Konflikten und Konkurrenzsituationen.

So bestehen zwischen Qualitätsdimensionen bzw. -kriterien oftmals Konkurrenzsituationen. Zum einen lassen biologische oder technische Restriktionen teilweise die gleichzeitige bzw. gleichgewichtige Erreichung von verschiedenen Qualitätszielen nicht zu. Zum anderen können angesichts der Begrenztheit von Ressourcen Bemühungen um hohe Qualitätsstandards in einer Dimension zu Lasten anderer Dimensionen bzw. Qualitätsziele gehen.

Bei der Regionalität bestehen teilweise Konflikte und Kontroversen auf der Verständnisebene durch eine mangelnde Unterscheidung zwischen regionaler Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Nahrungsmitteln. Auf der Motivations- und Zielebene kann es Konflikte und Spannungen geben zwischen „ganzheitlich“, aber kleinräumig orientierten Regionalprojekten und auf größere Märkte ausgerichteten Aktivitäten der Ernährungswirtschaft.

Bei der Vielzahl der Akteure und ihren unterschiedlichen Bewertungen kann es nicht zu einem widerspruchsfreien Informationsangebot kommen. Wissenschaftlich korrekte Informationen, allgemeinverständliche Informationen und handlungsrelevante Informationen sind nur sehr schwierig gleichzeitig zu erreichen. Unterschiedliche Informationsbedürfnisse und Formen der Verarbeitungen bei den Verbrauchern bedürfen jeweils spezifischer Informationsansätze, wobei umfangreiche Informationsangebote bei einem Teil der Verbraucher tendenziell zum „Information-Overload“ führen.

Vielfältige Akteure

Es gibt zahlreiche staatliche und privatwirtschaftliche Initiativen, die auf eine Erhöhung der Nahrungsmittelqualität zielen. Privatwirtschaftliche Initiativen, die besondere Qualitäten durch Kombination unterschiedlicher (nachprüfbarer) Kriterien bzw. Dimensionen entwickeln und anbieten, bestehen in verschiedenen Produktgruppen und Branchen. Diese Initiativen können von einzelnen Landwirten, Erzeugergemeinschaften, Verarbeitern, teilweise sogar vom Handel und von Verbundorganisationen ausgehen.

Regionale Nahrungsmittelproduktion und -vermarktung finden auf unterschiedlichen Ebenen statt, von der Direktvermarktung ab Hof bis hin zum Supermarkt. Anregungen und Initiativen sind auf lokaler Ebene meist in Form von Erzeuger- und Verbraucherzusammenschlüssen entstanden („bottom-up“). Gerade auf Länderebene wird Regionalität aber seit längerem auch „top-down“ über Marketingorganisationen, mit Markenprogrammen, regionalen Dachmarken und Herkunfts- bzw. Qualitätszeichen gefördert. Eine Absatznische mit Entwicklungsperspektiven sind Großverbraucher wie Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung (Kantinen, Krankenhäuser, Kindergärten) und die Gastronomie. Die Gesamtheit (weit über 300) und Vielfalt existierender Regionalprojekte ist schwer überschaubar. Ein besonderer Bezug besteht von jeher zwischen ökologischer und regionaler Erzeugung (und Vermarktung) von Lebensmitteln: Lange Zeit wurden Öko-Lebensmittel ganz überwiegend regional vertrieben.

Die wichtigsten Anbieter von Verbraucherinformationen sind staatliche Stellen, Unternehmen, Verbraucherverbände und Medien. Der politischen Gestaltung unterliegen die staatliche Verbraucherinformation, die Förderung der Verbraucheraufklärung und die rechtliche Rahmensetzung insbesondere im Bereich der Kennzeichnung.

Fehlende Definitionen und Standards

Für einen Teil der Qualitätsdimensionen – wie z.B. tiergerechtere Nutztierhaltung – fehlen eindeutige und unumstrittene Definitionen und Standards. Dadurch entstehen für Verbraucher unzureichende Markttransparenz und fehlende Nachvollziehbarkeit. Dies gilt auch für die Kennzeichnung regionaler Lebensmittel, wo beispielsweise geschützte Ursprungsbezeichnungen und geschützte geographische Herkunftsangaben nach der Verordnung 92/2081/EWG in Deutschland bisher kaum genutzt werden.

Eine Antwort auf Probleme bei der Kennzeichnung sind Gütezeichen (z.B. Bio-Siegel, QS-Zeichen), die eine Vielzahl von Informationen zur Qualität von Nahrungsmittel zusammenfassen. Die Möglichkeiten von Gütesiegeln, die bestimmte Qualitäten bzw. regionale Herkünfte von Nahrungsmitteln deutlich machen, sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Hemmnisse

Eine Reihe von Hemmnissen steht der Entwicklung von Qualität, Regionalität und Verbraucherinformation entgegen.

Bei der Qualitätsdifferenzierung und -steigerung sind dies zunächst die niedrigen Preise für „Standard“-Nahrungsmittel. Unzureichende Qualitätssignale sind teilweise durch die EU-Marktordnungen (wie beispielsweise Handels-klassen-Einstufungen oder das Subventionsgefüge der EU-Tierprämien) bedingt. Außerdem ist in vielen Fällen Wissen und Beratung von Erzeugern, Verarbeitern, Verkäufern und Verbrauchern unzureichend auf Qualitätsaspekte ausgerichtet.

Unzureichende regionale Aufnahme- und Verarbeitungsstrukturen (wie z.B. bei Schlachthöfen oder Molkereien) können ebenfalls ein Hindernis darstellen. Der Nachfragetrend zu mehr Convenience erfordert einen hohen Verarbeitungsgrad unter Einsatz einer Vielzahl von Rohstoffen und Vorprodukten und stellt besondere Anforderungen an Technologie, Qualitätssicherung und Liefermengen, die vor allem für kleinere Regionalanbieter eine große, oft kaum zu bewältigende Herausforderung bedeutet.

Die (warenbegleitende) Kennzeichnung wird durch eine Vielzahl horizontaler (allgemeiner) und vertikaler (produktspezifischer) Regelungen bestimmt. Dies führt bei den Herstellern bzw. Inverkehrbringern zu Schwierigkeiten bei der ordnungsgemäßen Handhabung der Kennzeichnungsvorschriften.

Qualitätssicherung

In den letzten Jahren wurden die Bemühungen erheblich verstärkt, die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen und in der Ernährungswirtschaft Qualitätssicherungssysteme einzuführen. Ein Entwicklungsweg führt zu integrierten Wertschöpfungsketten, die von einem dominierenden Marketingführer koordiniert und kontrolliert werden, wie beispielsweise in der deutschen Geflügelwirtschaft. Ein anderer Entwicklungsweg zielt auf die Schaffung von übergreifenden Zertifizierungsstandards, die eine neutrale Überprüfung der Produktqualität ermöglichen. Ein typisches Beispiel ist das im Fleischbereich eingeführte QS-System. Mögliche Konfliktpunkte bei Qualitätssicherungssystemen mit betriebsindividueller Zertifizierung sind Schärfe der Kontrollkriterien und Anforderungen über die Lebensmittelsicherheit hinaus, Qualifikation und Unabhängigkeit der Zertifizierer, Häufigkeit und Kontrollumfang der Audits sowie Sanktionsmaßnahmen bei festgestellten Verstößen. Komplexere und segmentiertere Verarbeitungssysteme mit hoher Arbeitsteilung führen dazu, dass insbesondere bei Problemen im Bereich Lebensmittelsicherheit potenziell viele Akteure betroffen sind. Dementsprechend gewinnen Qualitätsmanagementsysteme und die Rückverfolgbarkeit an Bedeutung.

Eine deutliche Erweiterung regionaler Nahrungsmittelversorgung wird nur über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) möglich sein – Direktvermarktung oder der Absatz über Gastronomie und andere Großverbraucher bleiben (für einzelne Erzeuger und im Rahmen bereichsübergreifender, z.B. touristischer Projekte durchaus bedeutsame) Nischen. Bloße Regionalität stellt dabei keine tragfähige Produkteigenschaft für einen dauerhaften Erfolg dar. Um sich gegen die nationale und internationale Konkurrenz, zunehmend auch im Öko-Bereich, durchzusetzen, müssen regionale Produkte spezifische Qualitäten aufweisen. Dieser Entwicklungsweg erfordert Anstrengungen vor allem hinsichtlich zusätzlicher Qualitätssicherung und -kontrolle bei den Produzenten und Verarbeitern.

Vertikale Differenzierung von Produkten und Vermarktungswegen

Neben dem Trend zu Standardqualitäten mit niedrigen Preisen, bei denen die kostengünstige Erzeugung im Vordergrund steht, findet im mittleren und oberen Preis- und Qualitätssegment eine zunehmende Ausdifferenzierung statt, wie exemplarisch für die Produktbereiche Brot sowie Wein, Sekt und Fruchtsäfte gezeigt wird. Für die letztgenannten drei Branchen beispielsweise haben im oberen Qualitätssegment vor allem regionale Anbieter zunehmend eine Chance, Produkte mit einer höheren Genussqualität erfolgreich zu vermarkten. Die Entwicklung des Öko-Segments stellt eine weitere Facette der qualitativen Ausdifferenzierung dar. Die Möglichkeiten für eine vertikale Produktdifferenzierung sind insbesondere abhängig von der Qualität und Individualität der Rohware sowie der Verfügbarkeit von handwerklichen oder manufakturiellen Verarbeitungsverfahren.

Hohe Ansprüche an die Aspekte Qualitätsstabilität und -sicherheit begünstigen großtechnische Produktionsverfahren. Wenn großtechnologische Prozesse, beispielsweise bei der Haltbarmachung, eindeutige Qualitäts-, Aufwands- und Kostenvorteile haben, werden dadurch die Konzentration der Produktentwicklung und die Herstellung in großen Unternehmen gefördert. Solange es keine konkurrenzfähigen Technologien für kleinere Produzenten gibt, stößt eine vertikale Differenzierung auf Schwierigkeiten. Die verfügbaren Produktionstechnologien prägen die Branchenstruktur und umgekehrt. Bei den Branchenstrukturen begünstigt eine große Differenziertheit bei den Anbietern, Sortimenten und Einkaufsstätten, wie sie beispielsweise in der deutschen Weinwirtschaft besteht, die vertikale Produktdifferenzierung und eine zunehmende Ausrichtung auf höhere Genussqualität. Beim Vorherrschen von wenigen Großunternehmen oder bei einer starken Stellung von Zulieferunternehmen, wie beispielsweise bei der Sekt- bzw. Fruchtsaftherstellung, stehen dagegen Markenartikelkonzepte und horizontale Produktdifferenzierung im Vordergrund.

Kennzeichnung und Verbraucherinformation

Bei der (warenbegleitenden) Kennzeichnung gibt es einerseits zahlreiche Ausnahmen und Lücken, die zu einer unvollständigen Kennzeichnung führen, und andererseits wird eine Vielzahl von Informationen transportiert. Auch existieren zahlreiche Kennzeichnungsbestandteile, so dass die Kennzeichnung zumindest teilweise von vielen Verbrauchern nicht verstanden oder falsch interpretiert wird. Außerdem wird die an lebensmitteltechnologisch und juristisch exakten Definitionen ausgerichtete Kennzeichnung der Alltagssprache und dem Allgemeinverständnis der Verbraucher oftmals nicht gerecht.

Kennzeichnung kann nicht alles leisten, da das Spannungsverhältnis von zu viel und gleichzeitig zu wenig Informationen nicht einfach auflösbar ist. Nicht zuletzt deshalb werden nicht warenbegleitende Informationsansätze immer wichtiger. Diese Informationsansätze können sowohl eine Ergänzungsfunktion zur Kennzeichnung als auch eine eigenständige Informationsfunktion erfüllen. Insgesamt werden nicht warenbegleitende Informationsansätze eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Vertrauensbildung (insbesondere durch die Hinterlegung von Informationen) und bei dem Ausbau dialogischer Kommunikationsstrukturen spielen.

Szenarien und Handlungsoptionen

Die aktuellen Tendenzen im Nahrungsmittelbereich, bei Angebot und Nachfrage, wie sie im Projekt des TAB erfasst und in den Basisanalysen beschrieben worden sind (TAB-Arbeitsbericht Nr. 81), lassen Ansatzpunkte für verschiedene zukünftige Entwicklungsrichtungen erkennen. Diese wurden in drei Szenarien – „Polarisierung“ – „Konvergenz“ – „Differenzierung“ – so gebündelt, dass ihre Aussagen sowohl für Deutschland als auch für die gesamte EU gelten können. Sie skizzieren den Entwicklungsraum, innerhalb dessen Potenziale zur Qualitätssteigerung, zur Regionalisierung der Nahrungsmittelversorgung und zur Verbesserung der Verbraucherinformation in unterschiedlicher Weise zu realisieren sind. Zu einzelnen Handlungsfeldern wurden dann alternative Handlungsoptionen entwickelt worden, die jeweils durch konkrete Handlungsschritte weiter auszufüllen wären.

Leitlinien und Handlungsoptionen (Tab. 1) wurden – ausgehend von den jeweiligen themenspezifischen Ausarbeitungen in den drei Teilberichten (TAB-Arbeitsberichte Nr. 87–89) – in einer Gesamtschau im zusammenfassenden Endbericht (Nr. 90) dargestellt.

Tab. 1: Überblick zu den Handlungsoptionen und ihrer Zuordnung zu den Szenarien

Handlungsfeld

Szenario

„Polarisierung“

Szenario

„Konvergenz“

Szenario

„Differenzierung“

Lebensmittelsicher-
heit und -kontrolle

Option 1: 

Mischsystem

Option 2:

staatliche Primär­verantwortung

Option 3:

privatwirtschaft-
liche Primärverantwortung

Qualitäts-
differenzierung

Option 1:

„Zwei Standards“

Option 2:

Anhebung des
Mindestniveaus

Option 3:

Förderung der vertikalen Qualitätsdifferenzierung

Rahmenbedingungen für Qualitätsproduk-
tion und Regionalisierung – Ausgestaltung der Gemeinsamen
Agrarpolitik

Option 1:
Förderung besonderer
Produktionsverfahren

Option 2:
Verknüpfung der
Förderung mit Qualitätsanforderungen

Option 3:
verstärkte Förderung der integrierten (ländlichen) Entwicklung

Marken, Zeichen und Programme für regionale Nahrungsmittel

Option 1a:
Herkunft von Öko-Lebens-
mitteln schützen (neues Zeichen, „Ökoplus“)

Option 1b:
EU-geschützte Herkunfts-
zeichen nach Verordnung 92/2081/EWG verstärkt nutzen

Option 2:
Regionalzeichen vereinheitlichen oder zumindest angleichen

Option 3:
Qualitätszeichen regional bzw.
Regionalzeichen qualitativ ausdifferenzieren

Verarbeitungs- und Vermarktungsstruk-
turen

Option 1:
Erzeugerzusammenschlüsse und Zertifizierung im Sinn der Verordnung 92/2081/EWG unterstützen

Option 2:
Investitionsbeihilfen für Aufbau von Logistik und Ver-
marktungswegen von großen Erzeugerzusammen-schlüssen

Option 3:
dezentrale Verarbeitungsstruktu-
ren neu aufbauen bzw. reaktivieren

Kennzeichnung

Option 1:
vereinfachte Kennzeichnung

Option 2:
umfassende Kennzeichnung

Option 3:
abgestufte Kennzeichnung

Publikationen