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Fortpflanzungsmedizin - Rahmenbedingungen, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Folgen

  • Projektteam:

    Christoph Revermann (Projektleitung), Bärbel Hüsing

  • Themenfeld:

    Biotechnologie und Gesundheit

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    TA-Projekt

  • Starttermin:

    2009

  • Endtermin:

    2010

Die Fortpflanzungsmedizin – auch als assistierte Reproduktionstechnologie (ART) bezeichnet – stellt ein anspruchsvolles Arsenal technologischer Optionen für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch bereit. Dazu gehören alle Behandlungen und Verfahren, die den Umgang mit menschlichen Eizellen, Spermien oder Embryonen mit dem Ziel umfassen, eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes herbeizuführen. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) kann als die Schlüsseltechnologie der modernen Reproduktionsmedizin gelten. Zunehmende Bedeutung haben die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) in die Eizelle sowie die Kryokonservierung von Keimzellen, imprägnierten Eizellen und Embryonen. Indem die menschlichen Keimzellen sozusagen auf den Labortisch geholt werden, wird zugleich der Befruchtungsvorgang einer umfassenden Manipulation zugänglich gemacht, denn praktisch alle Verfahren, wie z.B. Präimplantationsdiagnostik (PID), Embryonenauswahl, embryonale Stammzellforschung, Klonen, schließen hier in technischer Hinsicht an.

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Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Bis zur Etablierung der IVF waren Behandlungen bei ungewollter Kinderlosigkeit extrem eingeschränkt. Abhilfe gelang erst mit der Substitutionstherapie im Rahmen der ART, bei der die Befruchtung und die ersten Schritte der frühembryonalen Entwicklung in vitro, d.h. im Reagenzglas außerhalb des mütterlichen Körpers, stattfinden. 1978 kam in England das erste mithilfe einer IVF gezeugte Kind zur Welt, vier Jahre später wurde erstmals in Deutschland ein IVF-Kind geboren, und 1992 gelang (bei männlicher Infertilität) die erfolgreiche Mikroinjizierung einer Samenzelle in eine Eizelle. Waren die ersten »Retortenbabys« noch eine Sensation, so zählen 30 Jahre später künstliche Befruchtungen zur medizinischen Routinebehandlung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch. Schätzungen zufolge leben weltweit weit über 4  Mio. »ART-Kinder«. In Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren (2000 bis 2009) über 100.000  Kinder nach ART-Verfahren zur Welt gekommen. Mittlerweile werden jährlich knapp 2 % aller Kinder reproduktionsmedizinisch gezeugt.

Im internationalen Vergleich gibt es große Unterschiede, inwieweit, mit welchen Zielsetzungen und unter welchen Rahmenbedingungen Verfahren der assistierten Reproduktion überhaupt erlaubt sind, in welchem Maße sie in der reproduktionsmedizinischen Praxis eingesetzt werden und welche intendierten und nicht-intendierten Folgen hiermit jeweils verbunden sind. Darüber hinaus haben sich auf europäischer Ebene sowie in Deutschland relevante strukturelle und auch rechtliche Rahmenbedingungen teilweise geändert. Ziel des TA-Projekts war die Erschließung der medizinischen, wissenschaftlichen, rechtlichen und gesellschaftspolitischen Dimensionen des Themas anhand folgender Schwerpunkte:

  • Darstellung der durch die Reproduktionsmedizin bereitgestellten und auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes abzielenden aktuellen Lösungsansätze zum Umgang mit unerfülltem Kinderwunsch. Analyse und Diskussion der ART-Anwendungen und der Entwicklungstrends in der klinischen Praxis in Deutschland, in Europa, in den USA sowie in weiteren Ländern unter besonderer Berücksichtigung der erzielten Erfolgsraten. Nachgegangen wurde auch der Frage, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Risiken für Frauen durch die reproduktionsmedizinischen Behandlungen bestehen, und es wurden die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Risiken für die so gezeugten Kinder diskutiert.
  • Analyse und Diskussion des Kenntnistands zu psychischen Belastungen und psychosozialen Folgen für Frauen, Männer, Kinder und Familien für die in der klinischen Praxis angewendeten reproduktionsmedizinischen Verfahren. Leitfragen waren dabei u.a.: Wie ist die psychosoziale Betreuung im Allgemeinen in Deutschland organisiert und im Detail ausgestaltet? Wie erfolgt die Integration psychosozialer Beratung in die reproduktionsmedizinische Behandlung, inwieweit ist sie auch davon unabhängig möglich? Wie sind die Qualität der Beratung, die Qualifikation der Beratenden und die Qualitätssicherung insgesamt? Wie ist die deutsche Situation in internationaler Perspektive zu bewerten, wo besteht Handlungsbedarf?
  • Analyse der gesetzlichen, untergesetzlichen und standesrechtlichen Regelungen sowie der strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen, die einen bestimmenden Einfluss auf Ausmaß und Art des Angebots, Durchführung, Nachfrage und Inanspruchnahme von Verfahren der assistierten Reproduktion haben. Prüfung, inwieweit neue Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin durch das geltende Recht in Deutschland abgedeckt bzw. nicht oder unzureichend geregelt sind; Ableitung von Ansatzpunkten für eine mögliche Weiterentwicklung des gesetzlichen Rahmens in Deutschland.

Ergebnisse

Im europäischen Vergleich werden in Deutschland unterdurchschnittlich häufig reproduktionsmedizinische Behandlungen durchgeführt, auch der Anteil an Geburten ist unterdurchschnittlich. Betrachtet man allerdings die Behandlungs- und Geburtendaten bis zum Jahr 2003, lag Deutschland jeweils über dem europäischen Durchschnitt. Mit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes kam es 2004 fast zu einer Halbierung der Behandlungszahlen. Seitdem ist wieder ein langsamer, aber stetiger Zuwachs zu verzeichnen. Dies verdeutlicht, dass die aktuellen Behandlungszahlen in Deutschland nicht auf mangelndes medizinisches Know-how oder fehlende gesellschaftliche Akzeptanz zurückzuführen sind, sondern hauptsächlich auf die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Diese Entwicklung entspricht im Übrigen der weltweiten Situation, dass die Anzahl der durchgeführten ART-Zyklen direkt mit der Finanzierung durch das Gesundheitssystem zusammenhängt.

Klinische Praxis - Erfolge und Probleme

Generell steigt das durchschnittliche Alter der Erstgebärenden in Deutschland – wie in fast allen Industriestaaten – an. Der Anteil an Frauen über 35 Jahre, welche eine IVF- oder ICSI-Behandlung in Anspruch nehmen, liegt in Deutschland über dem europäischen Mittelwert (2005: 55,6 % der Frauen bei IVF waren 40 Jahre oder älter, europaweit waren es 50,5 %). Im Hinblick auf die eingesetzten Techniken ist weltweit ein vermehrter Einsatz von ICSI-Behandlungen festzustellen. Während in Deutschland noch ca. ein Drittel aller Behandlungen konventionelle IVF sind, kommt die IVF in vielen europäischen Ländern seltener zum Einsatz. Diese Entwicklung lässt sich nicht durch deutlich höhere Erfolgsquoten der ICSI erklären, da diese nur im Falle einer eingeschränkten Spermienqualität des Mannes höheren Erfolg verspricht als konventionelle IVF. Die Zunahme von ICSI-Behandlungen kann möglicherweise auch damit erklärt werden, dass heute verstärkt die männliche Infertilität in die Aufmerksamkeit der Reproduktionsmediziner gerückt ist.

Weltweit lässt sich die Entwicklung beobachten, weniger Embryonen pro Zyklus zu transferieren. Dies muss vor dem Hintergrund der verbesserten technischen Möglichkeiten bei ART-Anwendungen, aber auch der Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften gesehen werden. Im Zeitraum 2001-2008 ist in Deutschland der Trend zu beobachten, ganz überwiegend 2 Embryonen zu übertragen (2008: 66 % aller Zyklen; der Anteil der Transfers von drei Embryonen sank von 38 auf 21 %). In einigen anderen Ländern (besonders Schweden, Belgien und UK) wird jedoch die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften entschiedener vorangetrieben, und international wird der elektive Ein-Embryonen-Transfer (eSET) favorisiert, bei dem der am besten entwicklungsfähig erscheinende Embryo für den Transfer ausgewählt wird. Die aktuelle Studienlage zeigt, dass eSET die Raten der Mehrlingsschwangerschaften und -geburten wirksam zu senken vermag. Die Mehrlingsgeburtenraten in Deutschland und den meisten europäischen Ländern liegen allerdings immer noch deutlich über der natürlich zu erwartenden Rate. Schweden erreicht als einziges Land eine (nahezu natürliche) ART-Einlingsrate von über 93 %. Die Erfolgsquoten in Bezug auf die »Ba-by-take-home-Rate«(BTHR) – also die Geburtenrate pro begonnenen Zyklus – liegen in Deutschland im Zeitraum 1997 bis 2005 mit 15,4 % etwa im europäischen Durchschnitt (15,0 %). Großbritannien weist die höchste Erfolgsquote (20,4 %) auf, dicht gefolgt u.a. von skandinavischen Ländern.

Zu konstatieren ist insgesamt, dass die Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit mithilfe von ART in Deutschland, Europa und den USA immer häufiger durchgeführt wird und zugleich in den letzten Jahren auch eine deutliche Verbesserung der Erfolgsaussichten für die betroffenen Paare erreicht werden konnte. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland allerdings in Bezug auf die durchgeführten ART-Zyklen sowie die daraus resultierenden Geburten unter dem europäischen Durchschnitt. In diesem Kontext ist jedoch auch zu beachten, dass viele Jahre der Fokus der assistierten Reproduktion nahezu ausschließlich auf der Maximierung der Wirksamkeit der Behandlung lag, ablesbar an dem Indikator BTHR. Hohe Erfolgsraten wurden jedoch »erkauft« durch die Gewinnung möglichst vieler Eizellen pro Zyklus, um mehrere Embryonen in die Gebärmutter transferieren zu können. Hieraus resultierten die Gefahr eines ovariellen Hyperstimulationssyndroms und einer hohen Zahl von Mehrlingsschwangerschaften mit den damit verbundenen Gesundheitsrisiken und Belastungen.

Gesundheitliche Beeinträchtigungen für Frauen und Kinder

Das ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS) stellt ein schwer wiegendes gesundheitliches Risiko für Frauen dar, die durch die hormonelle Stimulation während der reproduktionsmedizinischen Behandlung hervorgerufen wird. In Deutschland traten OHSS-Komplikationen seltener auf als im europäischen Mittel; im Jahr 2007 wurden 173 Fälle (0,4 % der Behandlungszyklen) registriert. Ob das Risiko für bösartige Krebserkrankungen nach Anwendung von Ovulationsinduktoren bzw. IVF/ICSI erhöht ist, lässt sich anhand der aktuellen Studien- und Datenlage nicht eindeutig beantworten.

Im Vergleich zur spontanen Empfängnis ist das Risiko für angeborene Fehlbildungen der Kinder nach ART-Behandlung um etwa 30 bis 40 % erhöht. Hierzu zählen z.B. Lippenspalte bzw. Kiefer-Gaumenspalte, angeborener Verschluss der Speiseröhre oder der Analöffnung, angeborene Fehlbildung der Harnröhre. Allerdings ist nicht eindeutig zu entscheiden, inwieweit die Fehlbildungen auf die assistierte Reproduktion bzw. auf die Infertilität der Eltern zurückzuführen sind. Nach reproduktionsmedizinischer Behandlung ist zudem das Risiko für perinatale, d.h. um die Geburt herum auftretende, Komplikationen erhöht. Dies sind Frühgeburtlichkeit, geringes Geburtsgewicht, unterdurchschnittliche Größe, Einweisung in eine Neugeborenenintensivstation sowie perinatale Sterblichkeit.

Insgesamt bestehen für durch reproduktionsmedizinische Verfahren gezeugte Kinder leicht erhöhte Gesundheitsrisiken im Vergleich zu natürlich empfangenen. Hierfür sind aber nicht die Reproduktionstechniken selbst ursächlich, vielmehr stellen die Sub- oder Infertilität der Eltern sowie der hohe Anteil der Mehrlingsschwangerschaften und –geburten eine wesentliche Ursache für Gesundheitsfolgen bei ART-Kindern dar. Das größte gesundheitliche Risiko in Folge reproduktionsmedizinischer Behandlungsverfahren für Frauen und Kinder liegt in der hohen Zahl von Mehrlingsschwangerschaften und –geburten. Ursache ist das Bestreben, die Schwangerschafts- und Lebendgeburtsrate je Behandlungszyklus zu optimieren: Mit der Zahl der zeitgleich übertragenen Embryonen steigt die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt, zugleich jedoch auch die Wahrscheinlichkeit von Mehrlingen. Im Jahr 2007 waren in Deutschland 34,1 % aller ART-Kinder Mehrlingskinder. Bei natürlicher Empfängnis lag der Anteil der Mehrlinge an allen Geborenen jedoch nur bei 3,3 %. Im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften bestehen bei Mehrlingsschwangerschaften – unabhängig von der Art der Zeugung – erhöhte gesundheitliche Risiken und eine erhöhte Sterblichkeit sowohl für Mütter als auch ihre Kinder. Vergleicht man ART-Zwillinge und auf natürlichem Wege gezeugte Zwillinge, so weisen ART-Zwillinge die folgenden erhöhten Risiken auf: höhere Wahrscheinlichkeit für Frühgeburtlichkeit, geringes Geburtsgewicht, angeborene Fehlbildungen sowie leicht erhöhtes Risiko für Krankenhauseinweisungen im Kleinkindalter.

Reduktion der Risiken

Derzeit werden die Erfolgsaussichten einer Kinderwunschbehandlung in Deutschland unter anderem dadurch gemindert, dass das (durchschnittliche) Alter der ART-Patientinnen stark gestiegen ist und weiter zunimmt. Es wäre für die betroffenen Paare gut, dass ART-Behandlungen ggf. möglichst früh eingeleitet werden, da die Chancen bei jüngeren Frauen deutlich höher sind und somit in den meisten Fällen durch eine geringe Anzahl an Zyklen eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes erreicht werden können. Dies ginge einher mit geringeren persönlichen Belastungen für die Paare sowie mit niedrigeren Behandlungskosten. Im Zuge einer stärker patientenorientierten reproduktionsmedizinischen Behandlung wären generell u.a. folgende Aspekte zu prüfen:

  • Veränderung der Ablauforganisation von IVF-Kliniken, um Belastungen der Paare während der reproduktionsmedizinischen Behandlung zu verringern und eine stärkere Patientenzentrierung zu erreichen. Deutliche Verbesserungspotenziale liegen darin, einen häufigen Wechsel des medizinischen Personals im Verlauf der Behandlung eines Paares zu vermeiden, die Paare besser über alle Details der Behandlung zu informieren sowie ihnen stärkere emotionale Unterstützung zu geben.
  • Optimierungen und Vereinfachungen in der Verabreichung der Gonadotropine, um die gesundheitlichen Belastung der Patientinnen zu verringern; ein engeres Monitoring der Eierstockstimulation und der Eizellreifung, um dem ovariellen Überstimulationssyndrom vorzubeugen. Zudem besteht Klärungsbedarf, inwieweit die Nutzung der In-vitro-Reifung eine weitere Option darstellt, auch nicht optimal gereifte Eizellen verwenden zu können.
  • Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften durch Transfer nur eines Embryos. Dies erfordert Methoden zur Qualitätsbeurteilung von Eizellen und Embryonen vor Befruchtung bzw. Transfer sowie deren Selektion. Zur Erzielung möglichst hoher kumulativer Schwangerschaftsraten wäre eine verstärkte Nutzung der Kryokonservierung von Eizellen, imprägnierten Eizellen bzw. Embryonen erforderlich.
Psychosozialer Kontext - Aufklärung und spezifische Beratung

Viele Paare bringt die Diagnose einer Fertilitätsstörung an die Grenzen ihrer seelischen Belastbarkeit. Zugleich ist zu konstatieren, dass die psychischen Ursachen für den unerfüllten Kinderwunsch in der Regel deutlich überschätzt werden, während die Auswirkungen des unerfüllten Kinderwunsches (wie auch der reproduktionsmedizinischen Behandlung) immer noch häufig unterschätzt werden. Reproduktionsmedizinische Verfahren sind oft der »letzte (Aus-)Weg«, um ein eigenes Kind zu bekommen. Und zugleich ist eine reproduktionsmedizinische Behandlung inzwischen gesellschaftlich akzeptierter als früher, weshalb sie von vielen Paaren als »normaler Weg« angesehen wird. Die zeitlich, emotional und finanziell aufwändige reproduktionsmedizinische Behandlung stellt jedoch für sehr viele Frauen (bzw. Paare) eine starke körperliche und psychische Belastung dar, die zudem mit der Zahl erfolgloser Behandlungszyklen ansteigt. Und ca. 20 % aller Paare erlebt die reproduktionsmedizinische Behandlung als so belastend, dass sie allein deshalb schon eine psychologische Begleitung benötigen.

Grundsätzlich soll die psychosoziale Beratung ungewollt kinderlosen Paaren zunächst Entscheidungshilfen in Hinsicht auf mögliche anstehende medizinische Therapieschritte anbieten. Außerdem soll sie dazu beitragen, die Kommunikation des Paares miteinander, mit den Ärzten und dem Umfeld zu verbessern, um eine bessere Bewältigung der Situation zu erreichen. Ein wichtiger Aspekt ist auch, ggf. die Akzeptanz eines Lebens ohne leibliche Kinder zu fördern und die Möglichkeit einer erfolglosen Therapie von Anfang an in den Beratungsprozess einzubeziehen. Psychosoziale Kinderwunschberatung zeichnet sich dadurch aus, dass auf der Basis therapeutischer Konzepte Ratsuchende dabei unterstützt werden, Orientierung, Klarheit, Wissen, Bearbeitungs- oder Bewältigungskompetenzen zu gewinnen. Darüber hinaus muss sie auf die spezifischen Bedürfnisse und Voraussetzungen der Ratsuchenden ausgerichtet sein. Die Beratungsinhalte beziehen sich auf alle Lebensthemen, die vom Kinderwunsch tangiert sind, darüber hinaus soll das Wohl des zu zeugenden Kindes, bereits geborener Kinder und der Familien reflektiert und möglichst sichergestellt werden. Alle involvierten Fachkräfte benötigen hierfür Kenntnisse und Fähigkeiten in psychologischer Gesprächsführung und psychosomatischer Grundversorgung und den psychosozialen Implikationen des unerfüllten Kinderwunsches.

Nationale Fachgesellschaften sprechen sich seit mehreren Jahren dafür aus, dass allen Paaren, die eine reproduktionsmedizinische Behandlung beabsichtigen oder sich dieser bereits unterziehen, zu allen Zeitpunkten niedrigschwellig Zugang zu einer psychosozialen Beratung zur Verfügung stehen sollte. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die psychosozialen Berater vielfach im »luftleeren« Raum agieren, ein Feedback an die Reproduktionsmediziner erfolgt eher selten. Dies könnte sich dann anders darstellen, wenn die Berater im reproduktionsmedizinischen Zentrum unter inhaltlichen, organisatorischen und strukturellen Aspekten integriert wären und/oder zudem auch eine psychosomatische Sichtweise Grundlage der (ergebnisoffenen) Kinderwunschbehandlung ist. Vielfach eröffnet sich auch der Sinn/Nutzen einer psychosozialen Beratung für die behandelnden Reproduktionsmediziner nur wenig. Auch hier könnte eine bessere Vernetzung mit den Therapeuten für die Reproduktionsmediziner entlastende und zeitsparende Aspekte bringen. Das Kinderwunschpaar könnte so stärker von der Kompetenz beider Fachkreise profitieren und eine umfassendere Behandlung/Betreuung erhalten. In der Triade Paar – Beratung – Reproduktionsmedizin sollte der individuelle psychosoziale, psychosomatische und/oder psychologische Beratungs- und Betreuungsbedarf gemeinsam, paarspezifisch und situationsabhängig entschieden werden. Darüber hinaus würde die psychosoziale Beratung durch die Reproduktionsmediziner einen größeren Stellenwert erfahren und die derzeitige Situation, dass viele Paare nicht oder erst sehr spät von der Option der psychosozialen Beratung erfahren, könnte deutlich verbessert und die Lücke zwischen Beratungsbedarf und Inanspruchnahme minimiert werden.

Rechtliche Aspekte - Anpassungsnotwendigkeiten

Ein Überblick über die medizinisch-technischen Verfahren der Reproduktionsmedizin im internationalen Vergleich zeigt zwar, dass diese – obwohl im Wesentlichen gleich – nicht in gleicher Weise von der Reproduktionsmedizin eingesetzt bzw. von Kinderwunschpaaren in Anspruch genommen werden können. Insgesamt ist festzustellen, dass die Regulierungen in Europa weit gefächert sind. Dem liegen unterschiedliche historische Entwicklungen sowie kulturelle, religiöse, soziale, politische und ökonomischen Aspekte zugrunde. Allerdings wurde und wird auf europäischer Ebene versucht, diese Unterschiedlichkeiten zu harmonisieren. Insbesondere spielt hier der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine wichtige Rolle, wie seine Entscheidung vom 1. April 2010 gezeigt hat, in der das Verbot der Eizell- und Samenspende als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot bezeichnet wird. Es ist evident, dass damit das Tor für mögliche bzw. notwendige regulatorische Änderungen im Bereich der Reproduktionsmedizin nicht nur für das originär betroffene Österreich, sondern auch für andere Länder weit aufgestoßen wurde. Schließlich kommt der Europäischen Union Bedeutung bei der Rechtsangleichung zu, wie sich zum Beispiel in Art. 12 der EU-Geweberichtlinie 2004/23/EG von 2004 zeigte, die auch dazu dienen soll, die medizinisch assistierte Reproduktion aufeinander abzustimmen. Unmittelbar relevant ist dies für die Präimplantationsdiagnostik (PID), die Samen- und Eizellspende und die Kryokonservierung von Embryonen. Auch staatenübergreifende Nichtregierungsorganisationen – wie etwa die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) – sind hier von Relevanz, da sie zum Teil seit mehreren Jahrzehnten versuchen, wissenschaftliche bzw. berufsrechtliche Standards zu setzen und eine supranational ausgerichtete Forschungs- und praktische Umsetzungspolitik der Verfahren der ART sowie der rechtlichen Harmonisierung zu unterstützen.

In Deutschland unterliegen die Anwendungen der Reproduktionsmedizin insbesondere dem Embryonenschutzgesetz (ESchG) aus dem Jahr 1991. Dieses erlaubt ausschließlich den Transfer von Eizellen, welche von der Patientin selber stammen. Eizellspenden und Leihmutterschaft sind ausgeschlossen, die Samenspende ist dagegen zulässig. Des Weiteren ist eine Übertragung von zugleich maximal drei Embryonen in die Gebärmutter erlaubt, eine Auswahl der Eizellen nur während der ersten 24 Stunden nach der Imprägnation, also vor der Kernverschmelzung. Insgesamt wird die Reproduktionsmedizin in Deutschland durch ein dichtes Netz verschiedener zusammenwirkender Regeln, die verstreut in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen zu finden sind, gestaltet. Hieraus resultiert eine gewisse Unübersichtlichkeit. Diese ist jedoch nicht (allein) für die gegebenen Rechtsunsicherheiten auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin verantwortlich, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet, dass bestimmte Regeln allgemeingültig für unterschiedliche Bereiche der Medizin Geltung besitzen. Auch ist das Recht der Reproduktionsmedizin wegen verschiedener Unklarheiten im ESchG bzw. durch eine Rechtsunsicherheit bezüglich verschiedener neuer Techniken der Reproduktionsmedizin geprägt.

Hier könnte die Rechtsprechung des EGMR neue Bewegung in die Diskussion bringen. Denn diese haben in der deutschen Rechtsordnung einem Bundesgesetz vergleichbare Geltung. Behörden und Gerichte (und auch der Gesetzgeber) sind daher – unter bestimmten Voraussetzungen – aufgerufen, die Auslegungen des Gerichtshofs bei ihren Entscheidungen und der Auslegung nationaler Vorschriften zu berücksichtigen. Eine Reform des Rechts der Reproduktionsmedizin – zumindest einzelner Normen des ESchG – könnte daher gegebenenfalls erforderlich sein. Gestützt wird diese Ansicht auch durch den BGH. Dieser hat in seiner Entscheidung vom 6. Juli 2010 kritisch angemerkt, dass der deutsche Gesetzgeber trotz der ihm bekannten langjährigen Auseinandersetzung um die Zulässigkeit der PID hierzu keine ausdrückliche Regelung im GenDG oder ESchG getroffen hat und auch in den Gesetzesmaterialien keine eindeutigen Aussagen getroffen worden sind. Der BGH hat aus diesem Grund eine eindeutige gesetzliche Regelung der Materie angemahnt.

Sinnvoll bzw. notwendig scheint die Überprüfung der Rechtslage in Deutschland somit im Hinblick auf folgende bestehende Unklarheiten: Was soll mit den bei der IVF (z.B. kryokonservierten) bzw. beim SET anfallenden überzähligen Embryonen geschehen, die nicht mehr für reproduktive Zwecke verwendet werden? Dürfen sie ggf. auch gespendet oder für Forschungszwecke genutzt werden? Wie kann nichtgewollten Mehrlingsschwangerschaften vorgebeugt werden bzw. soll ein »elektiver Single-Embryo-Transfer« erlaubt sein? Wie ist unter ethischen und rechtlichen Aspekten mit »überzähligen« Feten zu verfahren? Soll die PID auch an nichttotipotenten Zellen ausdrücklich verboten werden, falls nein, welche Untersuchungen welcher genetischen Eigenschaften bzw. Krankheitsdispositionen sollen im Rahmen einer PID an nichttotipotenten Zellen erlaubt sein? Soll die PID in den Anwendungsbereich des Gendiagnostikgesetzes einbezogen werden, falls ja, welche Änderungen sind dann notwendig?

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