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Technischer Fortschritt im Gesundheitswesen: Quelle für Kostensteigerungen oder Chance für Kostensenkungen?

  • Projektteam:

    Tanja Bratan, Sven Wydra

  • Themenfeld:

    Biotechnologie und Gesundheit

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    Innovationsreport

  • Starttermin:

    2010

  • Endtermin:

    2013

Innovationen im Gesundheitswesen stehen im Spannungsfeld verschiedener politischer Ziele. Sie sollen zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, einer langfristigen Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems und – analog zu anderen Wirtschaftsbereichen – auch zu wirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigung beitragen. Dies stellt die beteiligten Akteure vor erhebliche Herausforderungen. Besonderes Augenmerk wird seit einiger Zeit auf die Auswirkungen des medizinisch-technischen Fortschritts (MTF) auf die Gesundheitskosten gelegt. Dieser wird neben der demographischen Entwicklung gemeinhin für die sogenannte »Kostenexplosion« hauptsächlich verantwortlich gemacht. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Rolle der MTF in Bezug auf die Entwicklung der Gesundheitsausgaben tatsächlich spielt, was unter Berücksichtigung der o. g. Ziele wünschenswerte Innovationen sind und wie diese hervorgebracht und in ihrer Diffusion gefördert werden können.

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Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Innovationsreport mit den Auswirkungen des MTFs auf die Kosten des Gesundheitssystems in Wechselwirkung mit den dazugehörigen Rahmenbedingungen, aber auch auf andere Zielgrößen, insbesondere die Gesundheit der Bevölkerung sowie Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Dabei werden die Effekte des MTFs in der gesetzlichen Krankenversicherung betrachtet und die folgenden Fragen in den Mittelpunkt gestellt:

  • Welche Rolle spielt der technische Fortschritt bei der Entwicklung der Gesundheitsausgaben?
  • Wie sind eventuelle Kostensteigerungen durch den technischen Fortschritt im Gesundheitswesen zu bewerten?
  • Welche Arten von medizinisch-technischen Innovationen haben positive gesamtgesellschaftliche Auswirkungen?
  • Was sind günstige Rahmenbedingungen für solche Innovationen?
  • Wie können medizinisch-technische Innovationen mit positiven gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen frühzeitig erkannt werden?
  • Wie können günstige Rahmenbedingungen für die Diffusion von Innovationen mit positiven gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen geschaffen werden? Wie kann die Diffusion von Innovationen mit einem negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis eingeschränkt werden?
  • Welche Rahmenbedingungen fördern die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Innovationen mit positiven gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen?

Um diese Fragen zu beantworten, erfolgen Analysen auf zwei Betrachtungsebenen: Auf der Makroebene werden die gesamtgesellschaftlichen Implikationen des MTFs diskutiert und insbesondere eine kritische Analyse zur empirischen Evidenz der Kostenwirkungen des MTFs durchgeführt. Auf der Mikroebene werden anhand von Fallstudien die Effizienz (Kosten-Nutzen-Effekte) und Diffusion ausgewählter wichtiger Beispiele des MTFs sowie Unterschiede zwischen verschiedenen Innovationen betrachtet. Auf dieser Basis werden Handlungsoptionen für die Schaffung von Rahmenbedingungen entwickelt, die zur Realisierung der gewünschten Potenziale des MTFs und zur Minimierung nicht intendierter Wirkungen beitragen können.

Ergebnisse

Unter medizinisch-technischem Fortschritt bzw. Innovationen im Gesundheitswesen wurden lange Zeit vorrangig Produktinnovationen, also neue Arzneimittel und Medizinprodukte, subsumiert. Inzwischen wurde das Innovationsverständnis jedoch erweitert, und Prozessinnovationen (z.B. Disease-Management-Programme) werden ebenfalls in die Betrachtung eingeschlossen. Auch diese können einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung leisten und sich auf die Gesundheitskosten auswirken. Häufig sind Produkt- und Prozessinnovationen eng miteinander verwoben: Produktinnovationen ziehen oft Prozessinnovationen nach sich, Prozessinnovationen wiederum regen die Entwicklung neuer Produkte an. Insgesamt ist eine zunehmende Verknüpfung von Produkt- und Prozessinnovationen zu beobachten.

Kosten durch den medizinisch-technischen Fortschritt

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die Gesundheitsausgaben in Deutschland stetig gestiegen. Im internationalen Vergleich sind diese Zuwächse aber eher moderat, sowohl bei den absoluten (Pro-Kopf-Ausgaben) als auch bei den relativen Werten (Anteile am BIP). Eine allgemeine »Kostenexplosion« lässt sich somit empirisch nicht belegen.

Auch bei einer differenzierten Betrachtung der Ausgabenentwicklung nach unterschiedlichen Krankheitsbildern, Altersgruppen, Leistungsarten oder -trägern werden nur moderate Zuwächse sichtbar. Folglich liegen die Ursachen der Ausgabensteigerungen nicht bei einer dynamischen Entwicklung von einzelnen Teilbereichen, sondern vielmehr bei Faktoren, die im gesamten Gesundheitswesen relevant sind. Ein solcher Faktor ist der medizinisch-technische Fortschritt, dessen Auswirkungen in einem komplexen Wirkungsgeflecht des hochregulierten und von einer Vielzahl von Akteuren geprägten Gesundheitsmarktes auftreten. So hängt beispielsweise die Nachfrage nach neuen Innovationen sowohl von politischen Rahmenbedingungen (Erstattung, Versicherungsschutz) als auch von demographischen Veränderungen und Einkommensentwicklungen in der Bevölkerung ab. Diesen Wechselwirkungen zwischen dem MTF und sonstigen Faktoren wird als Ursache für die Ausgabenentwicklung zunehmend mehr Bedeutung beigemessen. Viele makroökonomische Betrachtungen beziehen sich bisher aber entweder auf die Erklärung des MTFs durch diese anderen Faktoren oder auf die Erklärung der Ausgaben durch den MTF selbst.

Die meisten der bisherigen Schätzungen beruhen auf statistischen Verfahren, durch die der technische Fortschritt als Residualgröße bestimmt wird. Alle Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen, die nicht explizit durch andere Faktoren (z.B. demographische Entwicklung, Einkommensentwicklung) erklärt werden können, rechnet man einer Restgröße zu, die als MTF bezeichnet wird. Bei solchen Abschätzungen werden 40–60 % der Ausgabensteigerungen auf das Residuum zurückgeführt und der technische Fortschritt damit eindeutig als zentraler Faktor in der Ausgabensteigerung identifiziert. Es ist evident, dass durch dieses Vorgehen der Beitrag des MTFs sowohl retrospektiv als auch prospektiv tendenziell überschätzt wird, da zum Teil relevante potenzielle Einflussfaktoren (u.a. politische Maßnahmen, Lebensstilveränderungen) nicht berücksichtigt werden. Schätzverfahren mit sogenannten Proxy-Variablen – d.h. Indikatoren, die stellvertretend für den MTF untersucht werden, wie z.B. FuE-Ausgaben – stellen zwar ebenfalls einen positiven, aber z.T. deutlich schwächeren Zusammenhang zwischen MTF und Gesundheitsausgaben fest.

Fallstudien zeichnen ein viel differenzierteres Bild bezüglich der Wirkungen des MTFs auf die Gesundheitsausgaben. Sie ermöglichen es, vielfältige Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen (wie z. B. die Reaktion der Nachfrage auf das veränderte Angebot) mit den Gesundheitsausgaben dezidierter zu betrachten. Dabei wird die hohe makroökonomische Abstraktionsebene der Residual- oder Proxymodellierung verlassen. Durch Fallstudien kann gezeigt werden, dass einzelne Innovationen sich in ihrer Ausgabenwirkung stark voneinander unterscheiden können. Im Rahmen des TAB-Projekts wurden sieben Fallbeispiele vertiefend ausgewertet (s.u.).

Selbst wenn durch den MTF die Gesundheitsausgaben steigen, kann er durch gleichzeitige Effekte auf Gesundheit sowie Wirtschaftswachstum und Beschäftigung positive gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben. Innovationen sind auch in der Gesundheitswirtschaft von erheblicher Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung. Die Technologieanbieter haben allerdings nur einen begrenzten Anteil an der Beschäftigung im Gesundheitssektor, stärkere Effekte sind bei deren Anwendungen für Gesundheitsdienstleistungen zu vermuten. Denn in der Regel treten die wirtschaftlichen Effekte neuer Technologien weniger durch ihre Herstellung, sondern in weitaus größerem Maße bei ihrer Nutzung auf. Darüber hinaus zeigen Modellsimulationen, dass eine wachsende Gesundheitswirtschaft und zunehmende Gesundheitsausgaben sich nicht notwendigerweise negativ auf die übrige Volkswirtschaft auswirken. Unter anderem können von einem durch den MTF bewirkten verbesserten Gesundheitszustand der Bevölkerung positive Wachstums- und Beschäftigungswirkungen ausgehen. Insgesamt deuten viele Anzeichen auf in der Summe positive Auswirkungen des MTFs sowohl auf die Gesundheit als auch die volkswirtschaftliche Entwicklung hin.

Fallbeispiele

Bei der Auswahl der Fallbeispiele wurde darauf geachtet, einen Mix aus Produkt- und Prozessinnovationen mit hoher Relevanz für das Gesundheitssystem sowie mit (eher) positivem, mit heterogenem/unklarem und mit (eher) negativem Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erfassen.

Innovationen mit eher günstigem Kosten-Nutzen-Verhältnis

Inhalative Glukokortikoide (Kortison) gelten in der Therapie von Asthma bronchiale als äußerst wirksam und kosteneffizient. Die Nationale Versorgungsleitlinie bei Asthma bronchiale sieht den frühen Einsatz von inhalativen Glukokortikoiden in der Therapie vor. Dennoch hinken die Kennziffern zur Anwendung (z.B. Verschreibungen, Verkaufsmengen) den Fallzahlen der Erkrankungen hinterher. Dies wird vorrangig auf nach wie vor bestehende Vorbehalte gegenüber der Kortisontherapie zurückgeführt. Diese bestehen vor allem aufgrund der hohen Nebenwirkungen systemisch verabreichter Glukokortikoide und einer unzureichenden Differenzierung zwischen der inhalativen und der systemischen Anwendung. Als Folge ergeben sich vermeidbare Verschlechterungen der Erkrankung und somit zusätzliche Behandlungskosten. Dieses Beispiel verdeutlicht die hohe Bedeutung des Wissenstransfers zu den Folgewirkungen von Innovationen, die bei Glukokortikoiden beispielsweise durch zunehmende Aufklärungsarbeit oder eine stringentere Anwendung der Versorgungsleitlinie Asthma bronchiale stattfinden sollte.

Das Disease-Management-Programm (DMP) Diabetes Typ 2 bündelt als eine Form medizinischer Versorgungsleitlinien die vorhandene Evidenz zur Behandlung der Erkrankung. Es soll Beeinträchtigungen durch die Erkrankung mindern und Folgeerkrankungen kosteneffektiv reduzieren. Das 2003 eingeführte Programm hat inzwischen sowohl den Versorgungsprozess (z.B. bezüglich der durchgeführten Untersuchungen) als auch die Versorgungsqualität (z.B. die Blutzuckerkontrolle) verbessert. Trotz seines positiven Kosten-Nutzen-Verhältnisses gibt es wichtige Potenziale zur Verbesserung des Programms, z.B. hinsichtlich der Förderung des Patientenselbstmanagements, des Setzens von Anreizen zur Verbesserung des Gesundheitszustands oder der vermehrten Aufnahme bisher unterrepräsentierter Patientengruppen.

Bei Innovationen mit positivem Kosten-Nutzen-Verhältnis ist es grundsätzlich entscheidend, dieses frühzeitig zu erkennen und eine schnelle und adäquate Diffusion durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen zu fördern (z.B. Abbau von Vorurteilen, Anwendung von Leitlinien, Erreichen relevanter Patientengruppen), damit der potenzielle gesamtgesellschaftliche Nutzen tatsächlich ausgeschöpft werden kann.

Innovationen mit unklarem/heterogenem Kosten-Nutzen-Verhältnis

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) werden gegenwärtig zur Behandlung von Depressionen als medikamentöse Therapie erster Wahl eingesetzt, obwohl bei leichten Depressionen bisher kein Zusatznutzen gegenüber einem Placebo nachgewiesen wurde und bei mittelgradigen bis schweren Depressionen die Evidenz zum Zusatznutzen im Vergleich zu älteren Antidepressiva wie auch zur Psychotherapie nicht eindeutig ist. Aufgrund des allgemeinen Publikations-Bias zugunsten von Studien mit positivem Ergebnis lässt sich das tatsächliche Kosten-Nutzen-Verhältnis nur schwer ermitteln. Hieraus resultiert ein Bedarf an neutralen Studien, um die Diffusion dieser Innovation besser an diesem Verhältnis ausrichten zu können.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist ein bildgebendes Verfahren, das ambulant am häufigsten zur Diagnostik von Rückenschmerzen zum Einsatz kommt. MRT-Geräte sind sowohl in der Anschaffung als auch der Nutzung mit hohen Kosten verbunden. Besonders bei »einfachen« Rückenschmerzen sind die dadurch gewonnenen Erkenntnisse häufig nicht therapierelevant, d.h. den Untersuchungskosten steht kein therapeutischer Nutzen gegenüber. Derzeit wird diese Innovation dementsprechend zu häufig und zu undifferenziert eingesetzt. Ihre Diffusion wird anscheinend nicht nur von ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis, sondern von zahlreichen anderen Faktoren beeinflusst (z.B. wirtschaftliche Interessen von Leistungserbringern, Patientennachfrage). Mögliche Ansatzpunkte für eine Kostenreduktion bieten z.B. eine ausschließliche Anwendung von MRT entsprechend der Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz oder die Vermeidung von Doppeluntersuchungen durch besseren Datenaustausch zwischen Leistungserbringern.

Telemonitoring kommt zunehmend bei der Behandlung chronischer Herzinsuffizienz zur Anwendung und soll vor allem helfen, Zustandsverschlechterungen frühzeitig zu erkennen bzw. diesen vorzubeugen. Zwar wurde der Gesamtnutzen von Telemonitoring in Bezug auf Morbidität, Mortalität und Lebensqualität sowohl aus klinischer als auch aus Patientensicht in zahlreichen Studien belegt, doch ist noch weitgehend unklar, bei welchen Patientinnen und Patienten und bei welchen Indikationen Telemonitoring tatsächlich sinnvoll bzw. notwendig ist. Es besteht deutlicher Bedarf an qualitativ hochwertigen Studien, die verlässliche Daten zum Kosten-Nutzen-Verhältnis liefern. Erst auf dieser Basis könnten Versorgungsleitlinien für den kontrollierten Einsatz der Innovation sinnvoll abgeleitet werden.

Aus diesen Fallstudien lässt sich der Schluss ziehen, dass es bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen für die Diffusion von Innovationen mit einem unklaren und/oder heterogenen Kosten-Nutzen-Verhältnis zunächst wichtig ist, überhaupt eine differenziertere Evidenzlage zu schaffen. Dazu gehört eine ausreichende Zahl neutraler, vergleichbarer Studien. Falls die tatsächliche Verbreitung nicht der aus Kosten-Nutzen-Sicht wünschenswerten Diffusion entspricht, wäre die Ermittlung und gegebenenfalls gezielte Beeinflussung anderer relevanter Diffusionsfaktoren (wie z. B. monetäre Anreize im Erstattungssystem oder Patientennachfrage) notwendig.

Innovationen mit eher ungünstigem Kosten-Nutzen-Verhältnis

Metall-auf-Metall-Hüftendoprothesen werden bei Arthrose des Hüftgelenks (Koxarthrose) aufgrund ihrer größeren Belastbarkeit im Vergleich zu anderen Materialkombinationen schon seit Jahrzehnten als Gelenkersatz verwendet, insbesondere bei jüngeren und aktiveren Patientinnen und Patienten. Jedoch wurden die Prothesen ohne ausreichende Validierung zugelassen und haben sich trotz Kritik aufgrund teilweise erheblicher Nebenwirkungen und Sicherheitsrisiken (bedingt durch den Abrieb von Metallionen) bis heute auf dem Markt gehalten. Erst jetzt werden die Risiken vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft. Überwachungsmechanismen in Form von Studienregistern zur Erfassung nachteiliger Effekte wurden demnach bislang vernachlässigt. In Kombination mit Maßnahmen zur Anwendungsbeschränkung müssten sie eine zentrale Rolle spielen, um die Innovationsdiffusion bei negativem Kosten-Nutzen-Verhältnis einzudämmen.

Die Kniegelenkarthroskopie wird häufig zur Behandlung der Arthrose des Kniegelenks (Gonarthrose) eingesetzt. Ihre Wirksamkeit beim alleinigen Vorliegen von Gonarthorse wurde schon früh hinterfragt. Zunächst zeigten qualitativ mangelhafte Studien zwar einen vermeintlichen Nutzen auf. Doch auch nach Widerlegung dieser Annahme durch deutlich belastbarere Studien ist die Methode stark diffundiert und wird nach wie vor häufig angewendet. Erst seit Kurzem wird ihr Nutzen im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung (G-BA) geprüft. Es ist mit einer Einschränkung der Erstattungsfähigkeit zu rechnen. Um einen solchen ungünstigen Diffusionspfad frühzeitig zu verlassen oder ganz zu vermeiden, hätte diese Innovation direkt nach Aufkommen begründeter Zweifel an ihrem Nutzen in qualitativ hochwertigen Studien untersucht werden müssen, um die Ergebnisse anschließend umgehend an die relevanten Akteure weiterzuleiten. Darüber hinaus wäre es auch hier – wie immer bei Innovationen mit einem ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis – notwendig gewesen, die relevanten Diffusionsfaktoren zu identifizieren und gezielt zu beeinflussen.

Schlussfolgerungen

Bei den untersuchten Fallbeispielen lässt sich aufgrund mangelnder Quantität und/oder Qualität der wissenschaftlichen Studien eine unzureichende Informationslage zum Kosten-Nutzen-Verhältnis feststellen. Die Auswertung vorliegender Studien zeigt, dass sich bei den meisten Innovationen nur vereinzelt belastbare Aussagen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis treffen lassen. Anscheinend entspricht die tatsächliche Diffusion häufig nicht dem aus Kosten-Nutzen-Sicht wünschenswerten Umfang. So erscheint die Diffusion im Fall der inhalativen Glukokortikoide und des DMP Diabetes Typ 2 eher unterproportional, bei den Metall-auf-Metall-Hüftprothesen und der Kniegelenksarthroskopie hingegen überproportional. Die Ursachen hierfür liegen in einem komplexen Zusammenwirken der verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem, die nach ihrer jeweils eigenen Logik und entsprechend ihren spezifischen Anreizstrukturen agieren.

Fazit und Ausblick

Der medizinisch-technische Fortschritt leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung sowie zu wirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigung. Um die langfristige Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems zu gewährleisten, muss der MTF auch unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten betrachtet werden. Die Analysen im Rahmen des TAB-Projekts zeigen, dass die Evidenzbasis für eine Bewertung von Kosten und Nutzen jedoch häufig unzureichend ist. Dies gilt sowohl für die Nutzendimension von Innovationen als auch für deren Kosten. Sowohl die Quantität als auch die Qualität von Studien sind zu bemängeln, auch spielt die Verzerrung (»Bias«) durch Nichtveröffentlichung eine Rolle. Aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten erweist sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis vieler Innovationen als recht heterogen und macht differenzierte Analysen notwendig. Da diese oft nicht vorliegen, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen oder schlecht vergleichbar sind, ist auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis vieler Innovationen unklar.

Doch selbst wenn eine eindeutige Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses vorliegt, bestehen häufig Verbesserungsmöglichkeiten beim Wissenstransfer an die relevanten Akteure. Auch Adressatengenauigkeit und Anwenderfreundlichkeit sind meist optimierbar. In einigen Fallstudien zeigte sich, dass trotz vorliegender Erkenntnisse zum negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis andere Faktoren (wie Erstattungsvorschriften, Anbieterinteressen) die Diffusion dennoch antreiben. Umgekehrt kann die Anwendung und Verbreitung von Innovationen mit positivem Kosten-Nutzen-Verhältnis auch gehemmt werden. In beiden Fällen ist die Identifizierung dieser Faktoren und die Entwicklung entsprechender (Gegen-)Maßnahmen (z. B. finanzielle Anreize, Veränderungen in Vergütungsstrukturen, Abbau von Vorurteilen) von zentraler Bedeutung.

Innovationspotenziale insbesondere bei chronischen Erkrankungen eröffnen sich mitunter nicht nur durch die Verbesserung von medikamentösen Therapien, sondern vor allem auch im Bereich der primären Prävention (z. B. Bewegungsförderung, Verbesserung der Luftqualität). Daher gilt es für die Forschungs- und Gesundheitspolitik, auf die Entstehung von Innovationen vermehrt Einfluss zu nehmen und sie weniger als bisher dem Technologiepush dominanter Akteure zu überlassen.

Vermutlich ist insgesamt nicht so sehr der technische Fortschritt an sich der Kostentreiber, sondern die nicht dem Kosten-Nutzen-Verhältnis entsprechende Diffusion. Es scheinen noch viele ungenutzte Innovationspotenziale bei der Gestaltung geeigneter Rahmenbedingungen zu bestehen, um eine eher dem Kosten-Nutzen-Verhältnis entsprechende Verbreitung von Innovationen gewährleisten. Ansatzpunkte hierfür bilden den Mittelpunkt der Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen des TAB-Innovationsreports »Technischer Fortschritt im Gesundheitswesen«, der in Kürze in seiner endredigierten Fassung vorliegen wird.

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