
Potenziale des „Digitalen Zwillings” für eine nachhaltige und klimaangepasste Stadtentwicklung
- Projektteam:
Marlène de Saussure (Projektleitung), Sonja Kind, Tobias Hungerland, Susann Bernhold
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen
- Analyseansatz:
TA-Kompakt
- Starttermin:
Mai 2025
- Endtermin:
2026
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Thematischer Hintergrund
Ein digitaler Zwilling ist eine virtuelle Kopie eines physischen Objekts, einer In-
frastruktur oder eines Prozesses aus der realen Welt oder eines geplanten Vorhabens. Dieses Alter Ego besteht aus datenbasierten Modellen, die die Funktionen und Eigenschaften des Originalobjekts mithilfe von KI- bzw. Alternate-Reality-basierten Simulationen und Algorithmen nachahmen. Sie ermöglichen Experimente und Projektionen, die über die herkömmlichen Funktionen des analogen Objekts hinausgehen. So können mithilfe digitaler Zwillinge real existierende Strukturen vorausschauend weiterentwickelt, bedarfsgerecht getestet und optimiert werden.
Die Anwendung dieser Technologie ist im Bereich der Stadtplanung bereits Realität: Straßenzüge, Gebäudekomplexe und Stadtbewohner/innen werden digital nachgebildet und in Interaktion gebracht, um die Simulation und Planung integrierter und effizienter Infrastrukturen zu ermöglichen. Auf Basis komplexer und vielfältiger Daten werden gebaute Strukturen, physische Eigenschaften und dynamische Bewegungssysteme in Städten oder Stadtteilen in 3D-Modellen analysiert.
In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Pilot- und Forschungsprojekten zur Anwendung urbaner digitaler Zwillinge: Im Förderprogramm der Bundesregierung Modellprojekte Smart Cities (Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen) laufen derzeit 49 Projekte (Stand: Mai 2025) zur Entwicklung und praktischen Implementierung von digitalen Zwillingen in deutschen Kommunen und Landkreisen. Ein zentrales Projekt in diesem Programm ist das Wissenstransfer- und Städtepartnerschaftsprojekt »Connected Urban Twins« zu Themenbereichen wie Stadtklima, Verkehrsfluss und Infrastruktur, an dem Hamburg, München und Leipzig beteiligt sind. Die Universität Stuttgart (HLRS) entwickelte außerdem einen digitalen Zwilling der Stadt Herrenberg (Baden-Württemberg) zur Planung von Maßnahmen im Rahmen der Energiewende sowie einen weiteren zur Analyse der Verkehrssituation des Stuttgarter Marienplatzes aus Sicht von Fußgänger/innen und Radfahrer/innen.
Bei der Nutzung digitaler Zwillinge für eine nachhaltige Stadtplanung gibt es derzeit noch regulatorische Lücken und Herausforderungen, wie beispielsweise im Bereich Datenschutz und Datensicherheit. Es fehlen klare, einheitliche Regelungen, wie Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden dürfen, um sowohl die Privatsphäre der Bürger/innen zu schützen als auch die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Zudem gibt es noch keine allgemein anerkannten Standards für die Erstellung und Nutzung digitaler Zwillinge. Dies erschwert die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen und Softwarelösungen, was die Zusammenarbeit zwischen Städten und unterschiedlichen Akteuren behindern kann. Außerdem besteht Bedarf an klaren gesetzlichen Regelungen bezüglich der Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure und der Haftung im Falle von Fehlern oder Unfällen, die durch Simulationen verursacht werden. Trotz der finanziellen Unterstützung beispielsweise durch das Förderprogramm »Smart Cities« sind die langfristige Finanzierung und die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für digitale Zwillinge oft unsicher. Viele Städte haben Schwierigkeiten, die erforderlichen Investitionen zu tätigen und die Projekte nachhaltig zu finanzieren. Schließlich fehlen oft Mechanismen, um die Bürgerbeteiligung effektiv und transparent in den Planungsprozess einzubinden.
Ziel und Vorgehensweise
Im Rahmen der TA-Kompakt-Studie zu den Potenzialen und gesellschaftlichen Auswirkungen von urbanen digitalen Zwillingen liegt ein Untersuchungsschwerpunkt auf dem ökologischen Mehrwert der Nutzung von digitalen Zwillingen in der Stadtplanung. Dabei sollen folgende Fragen geklärt werden:
- Welche Themengebiete im Bereich Stadtentwicklung eignen sich besonders für die Anwendung von digitalen Zwillingen mit dem Ziel einer Erhöhung der Ressourceneffizienz?
- Welche Anwendungsbeispiele gibt es bereits, die in der Praxis erprobt wurden und sich bewährt haben?
- Wie kann die Generierung von Daten, die für fundierte Klimaanpassungskonzepte benötigt werden (z. B. Luftqualität, Kühlungseffekte, Gebäudeperformance), durch einen digitalen Zwilling erfolgen?
Darüber hinaus spielen strukturelle und stadtplanungspolitische Fragen eine wichtige Rolle, u. a.:
- Inwieweit kann ein digitaler Zwilling zu einem verbesserten Risikomanagement (z. B. Wetterereignisse, Großunfälle, Terroranschläge) beitragen?
- Wie können kongruente Regelungen zur Datengenerierung und -verarbeitung für digitale Zwillinge städtischer Infrastrukturen entwickelt werden?
- Welche Anwendungsleitlinien und rechtlichen Rahmenbedingung sind für eine optimale Operationalisierung digitaler Zwillinge notwendig?
- Welche Finanzierungsmodelle sind für die Entwicklung und Implementierung von Simulationstechnologien denkbar?
- Welche partizipativen und kollaborativen Ansätze können mithilfe von digitalen Zwillingen verfolgt werden, um Bürgerbeteiligung zu fördern?
Die Untersuchung gliedert sich in drei Arbeitsschritte:
- In einem ersten Schritt werden im Rahmen einer Literatur- und Quellenrecherche Berichte, Studien und wissenschaftliche Publikationen zur Anwendung von digitalen Zwillingen in der Stadtplanung ausgewertet, um Beispiele für existierende Anwendungen sowie aufkommende Innovationen zu identifizieren.
- In einem zweiten Schritt werden Interviews mit relevanten Stakeholdern aus dem Bereich der Stadtentwicklungspolitik, Anbietern digitaler Zwillingstechnologien und der Planungsindustrie geführt, um die Erkenntnisse aus der Literaturanalyse zu validieren bzw. noch nicht erfasste Themenschwerpunkte zu identifizieren.
- In einem dritten Schritt werden partizipative Formate wie interdisziplinäre Expert/innen-Workshops und -Befragungen durchgeführt, um die in den ersten beiden Bearbeitungsschritten gewonnenen Ergebnisse zu diskutieren und konsensbasierte Ideen für Handlungsperspektiven zu entwickeln.